Das Oratorium verhaltener Trauer und seelenstarker innerer Erhebung, das Johannes Brahms nach dem Tod seiner Mutter zu ihrem Andenken komponiert hat, war die richtige Ostermusik unserer Tage, und gab dem Karfreitagkonzert der Gesellschaft der Musikfreunde den Charakter einer Manifestation des deutschen Wesens in seinem gewaltigsten Ringen um sein Leben und seine Geltung. Die Wiener Philharmoniker, der Wiener Staatsopernchor, die ausgezeichneten Gesangskünstler der Wiener Staatsoper Irmgard Seefried und Alfred Poell und Orgelmeister Franz Schütz hatten sich unter der klaren, ungekünstelt disponierenden Leitung Hans Knappertsbuschs zusammengetan, um mit ihrer heute doppelt bewundernswerten Kunst, und mit voller Hingabe dem herrlichem Werk des großen Wiener Meisters, wie wir Brahms wohl nennen dürfen, zu dienen. Es grub sich dies in Herz und Gemüt der Zuhörerschaft ein. Wenn die machtvollen, von gebannten Rhythmus getragenen Klänge des Chors und Orchesters, die wie aus überirdischen Höhen dringende Stimme des Soprans oder die von Zuversicht und Schicksalsglauben erfüllten Worte des Baritons ertönten und zu der gewaltigen Steigerung führten, die als Krönung des Werkes gegen den Schluß gesetzt ist: „Der Tod ist verschlungen in den Sieg; Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?“ Heinrich Damisch.
Ein Betrachtung, wie die von „Kleine Wiener Kriegszeitung“ am 4. April 1945 gebrachte, kann, auch wenn sie von einem aus der ersten Garnitur geschrieben wurde, einem derartigen Ereignis, das zur Legende wurde, nie und nimmer gerecht werden, dem österlichen Ereignis, das sich 1945 zugetragen hat, von dem heute noch vor allem die damals Ältesten der dritten und zweiten Ukrainischen Front berichten, es hätte sich genauso zugetragen, daß sie keine Landkarten benötigten, um den Weg nach Wien zur Befreiung von Wien zu finden, da sie von Karfreitag an bis zu ihrem Eintreffen in Wien am 13. April 1945 unaufhörlich der Gesang von Irmgard Seefried dirigierte, in die Richtung, in der Wien liegen mußte, der Gesang von Irmgard Seefried sie in ihrer Entscheidung, in welche Richtung gen Wien sie zu marschieren haben, bestärkte, den Lauten von Irmgard Seefried sie nur zu folgen brauchten, um nach Wien zu gelangen, und je lauter und je verständlicher der Gesang von Irmgard Seefried wurde, desto gewißer war ihnen, sie sind keine vierzehn Tage vor Wien, sie sind keine zehn Tage vor Wien, sie sind keine acht Tage vor Wien, sie sind keine drei Tage vor Wien, sie stehen unmittelbar vor Wien, sie sind in Wien auf dem Platz vor der Kirche zum Musikverein …
Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?
So hat das Luther übersetzt, das dem Musikbetrachter Krönung, das noch Jahrzehnte später des rechten Mannes Leibverse … Den unmittelbar daran anschließenden korinthischen Vers werden sie heutzutage wohl nur für sich aufsagen
Aber der Stachel des Todes ist die Sünde; die Kraft aber der Sünde ist das Gesetz.
und bitterlich in sich hinein klagen, was seit dem für sie sündige Gesetze gegen ihre reinen Mannesgesetze etwa beschlossen wurden …
Es war überhaupt eine Zeit reich an, die reichste Zeit an überirdischen Ereignissen, an Legenden; von einer weiteren erzählte in einer dafür eingeweihten und dafür wie keine zweite auserwählten Zeitung

Es kann auch dies nicht verwundern, daß im Reich der Legenden die Erscheinungen der Gottbegnadeten überreich. Viele von ihnen auch auferstanden an diesem Karfreitage zum Erscheinen in der Kirche zum Musikverein als Manifestation des deutschen Wesens in seinem gewaltigsten Ringen um sein Leben und seine Geltung, auferstanden die gottbegnadeten Wiener Philharmoniker, auferstanden der gottbegnadete Hans Knappertsbusch, auferstanden die gottbegnadete Irmgard Seefried …
Die Wiener Philharmoniker waren nicht nur gottbegnadet, sie waren auch gottgesegnet, für ganze weitere zweiundfünfzig Jahre, erst 1997 verließ sie Gott, so muß ihre Klage geklungen haben, als ihnen von außen auferlegt wurde, ihren reinen Männerbund aufzugeben, in ihre Reihen Frauen aufzunehmen. Etwas gottgesegnet sind sie aber bis heute noch, beträgt der Frauenanteil in diesem Orchester heute noch gerade einmal 15,6 Prozent … was war das doch für ein reines Reich Gottes, als der Frauenanteil null Prozent und vierzig Prozent der Orchestermänner Mitglieder der Partei der Listenwarte, die nicht nur Listen der Gottbegnadeten, sondern auch und noch eifriger lange, lange, lange Transportlisten erstellten, waren …
Und auch dies kann nicht verwundern, im kommenden Jahr werden es fünfundsiebzig Jahre her sein, daß die gottbegnadete Sängerin und der gottbegnadete Geiger in gottgerngesehener Ehe zueinanderfanden, vielleicht auch zum gegenseitigen Troste über das verlorene so gottreich gesegnete Reich, und die Listenwarte, wären sie zum Zusammenschluße von dem Mitglied der Partei mit den Listen Schneiderhan und Seefried nicht schon drei Jahre tot gewesen, sie hätten es wohl nicht abgelehnt, Trauzeugen der Gottbegnadeten zu sein; aber, so erzählt eine Legende, sie seien auferstanden, ein der Eheschließung beiwohnendes Kind habe seinen Eltern noch in derselben Nacht erzählt, es habe die Listenwarte an der Seite des Ehepaares gerade in dem Augenblick gesehen, als Mann und Frau einander ihr Jawort —

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