Es kann ins Grübeln gebracht werden — das ist wohl die Absicht, heißt die von „Österreich 1“ ausgestrahlte Sendung doch „Gedanken für den Tag“ —, wenn am Morgen „Literaturnobelpreisträger James Baldwin“ verlautbart wird.
Das wäre, wie es so schön gesagt wird, nobel zu übergehen, zu übergehen, daß der Verfasser und Sprecher dieser „Gedanken für den Tag“ am 26. Jänner 2023 James Baldwin den Literaturnobelpreis zuspricht, zu übergehen, daß die für diese Sendung verantwortliche Redaktion von „Ö1“ das nicht korrigiert; ein Irrtum kann nun einmal passieren, ein Irrtum kann nun einmal übersehen werden.
Ach, es soll nichts Schlimmeres passieren, als einmal einen Menschen Literaturnobelpreisträger zu nennen, der den Literaturnobelpreis nicht bekam. Die Morgen müßten nicht mit Furcht erwartet werden, was wird diesmal gesendet werden.
Der Verfasser und Sprecher nennt in seinen „Gedanken für den Tag“ noch einen weiteren Schreibenden. Er sagt: „Schriftsteller Elias Canetti“. Die Redaktion hat daran nichts auszusetzen. Dabei, wie rasch wäre das zu berichtigen gewesen. Sie hätten im Manuskript bloß – zu erledigen in zwanzig Sekunden auch noch kurz vor Sendungsbeginn – bei Elias Canetti „Schriftsteller“ durch „Literaturnobelpreisträger“ und bei James Baldwin „Literaturnobelpreisträger“ durch „Schriftsteller“ …

Und das kann ein Grübeln auslösen.
Passierte das einfach aus Irrtum? Eine schlichte Verwechslung? Canetti mit Baldwin und Baldwin mit Canetti? Die Redaktion im Vertrauen darauf, es werde alles seine Richtigkeit haben, darauf verzichtet, wenigstens einen prüfenden Blick auf die Fakten im Manuskript zu werfen?
Wenn Tage später der Irrtum ohne Berichtigung auf der Website dieses Senders weiterhin gelesen werden kann, wie heute am 31. Jänner 2023, nicht einmal Tage später der Text ohne Richtigstellung und also mit dem Irrtum veröffentlicht bleibt, war es dann doch mehr als ein Irrtum, ein durch die gegenwärtige Weltsicht moralisch dominiertes Bewußtsein mehr unbewußt als willentlich in Gang gesetzte Absicht

Aus einem Literaturnobelpreisträger einen bloßen Schriftsteller zu machen und aus einem Schriftsteller einen Literaturnobelpreisträger. Was ist der Sinn davon? Der Zweck? Was will damit, wie es gar so modern heißt, kommuniziert werden?
Eine Wiedergutmachung an James Baldwin, weil er, wie Verfasser und Redaktion womöglich ehrenwert meinen, ungerechterweise den Nobelpreis nicht bekam? Eine Zurechtstutzung des Elias Canetti, weil er, wie Redaktion und Verfasser womöglich meinen, den Literaturnobelpreis bekam, er, der weiße alte Mann — 1981 war er tatsächlich ein alter und tatsächlich ein weißhaariger Mann, von 76 Jahren –, und nicht er, der junge und nicht weißhaarige Mann — er wäre im Gegensatz zu Elias Canetti tatsächlich jung gewesen, hätte er den Nobelpreis bekommen; er starb mit 63 Jahren.
Aber vielleicht hätte James Baldwin es gar nicht als Auszeichnung empfunden, den Nobelpreis zu bekommen. Vielleicht hätte er es mehr als Auszeichnung empfunden womöglich hatte er, wenn er sich je damit beschäftigte, es als Auszeichnung empfunden, zu jenen Schreibenden zu gehören, die nicht den Nobelpreis bekamen. Und das sind nicht nur wenige, sondern die Besten der Besten, zu denen durchaus, das soll nicht in Abrede gestellt werden, auch die eine und der andere mit dem Literaturnobelpreis Belohnte gehören, und wie bei den anderen im exklusiven Klub der Literaturnobelpreislosen gab es auch bei James Baldwin viele außerliterarische Gründe vor allem moralisch deformierter Natur, ihn nicht mit dem Literaturnobelpreis zu belohnen. Auszuschließen ist nicht, daß bei James Baldwin seine Hautfarbe noch hinzukam, bekam doch erst 1986 ein Mann mit der gleichen sogenannten Hautfarbe den Nobelpreis für Literatur; ein Jahr vor dem Ableben des James Baldwin —
Einem weißhaarigen James Baldwin wäre wohl die Literaturnobelpreisbelohnung ebenfalls versagt geblieben. Um die sich zu verdienen, hätte er in seinen Werken die Vorhänge zuziehen müssen, um den weltsichtigen, den ethischen Ansprüchen des moralisch einwandfreien Nobelpreiskomitees —
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