Die Partei will also „Volkskanzler“ werden. Korrekter. „Volkskanzlerin“. Genauer. Ihr zurzeitiger Anführer. Auch ihr zurzeitiger Anführer. Will etwas mit der Endung „kanzler“ werden. Ein Traum. Ein Traum, der so lange schon geträumt wird, in dieser Partei, daß ihr im Traum zwölf Minuten wie tausend Jahre rasch vergehen, so dehnbar ist im Traum nun einmal die Zeit.
Vor Jahrzehnten hatten sie einen damaligen zurzeitigen Anführer, der das auch werden wollte, damals noch „Bundeskanzler“ werden wollte. Geworden ist er es nie.
Dann kam der nächste zurzeitige Anführer, der wollte nicht mehr Bundeskanzler werden, sondern „Bürgerkanzler“. Gekommen ist er in dieses Amt nie. Auf das Amt muß er, einfach wie kurz gesagt, allenthalben, als Bürger – ohne Kanzler.
Dann kam für recht kurz der nächste zurzeitige Anführer, der wollte weder Bundeskanzler noch Bürgerkanzler werden, dafür aber „Deine-Heimat-dein-Präsident“, auch wenn das österreichische Gesetz ein solches Amt Deine-Heimat-dein-Präsident nicht vorsieht, ebenso das Amt eines Bürgerkanzlers, ebenso das Amt eines Volkskanzlers.
Vielleicht erfindet diese Partei derartige Ämter nur deshalb, weil sie es in ihrem Inneren weiß, für die vom österreichischen Gesetz vorgeschriebenen Ämter ist sie nicht gut genug, nicht fähig genug …
Nicht erklärlich ist dabei eines. Wie kommt der zurzeitige Anführer dieser Partei auf „Volkskanzler“, ist er doch einer, der recht Philosophisches liest und es auch zitiert, etwa erst im letzten Jänner in einer Halle, einen Mann, der mit dem Volks nichts, gar nichts, absolut nichts gemein hatte.
In der kurzen Zeit, in der Gómez Dávila die ererbten Unternehmungen geführt habe, sei er einmal in der Woche mit Monokel, Spazierstock und weißen Gamaschen im Büro erschienen und habe den Verwalter ermahnt: „Wir brauchen höhere Einnahmen, Don Antonio!“, bevor er sich zum Mittagessen in den Jockey-Club begeben habe, so berichten alten Freunde.
Die Intellektualität Gómez‘ ist skeptisch gesinnt, von unbesiegbarem Mißtrauen gegenüber dem Menschen und allen seinen Hervorbringungen, seinen politischen Formen, seinen moralischen Beweggründen, seiner Philosophie, seiner Unschuld, seinen wissenschaftlichen Analysen und Entdeckungen. Dieser Skeptizismus ist rücksichtslos und von gelegentlich zynischer Härte. Philantropia erscheint ihm nur in dem ursprünglichen Gebrauch dieses Wortes, wie die orthodoxe Kirche ihn bewahrt, ein zulässiger Begriff — nämlich als unbegreifliche Eigenschaft Gottes.
So Martin Mosebach, in seinem Vorwort.
Wäre es für den zurzeitigen Anführer nicht eine tatsächliche Aufgabe, statt zu träumen, diesem Mann nachzueifern, im Haus zu bleiben, wachen, lesen, lesen, einfach nur lesen und vielleicht ab und an für eine Website, für die sein „gescheiter Mensch“ ebenfalls recht zitierabel ist, lange Einträge schreiben; darüber hinaus, teilen sie, der zurzeitige Anführer und sein für das Volk nichts übrighabender gescheiter Mann, Erfahrungen mit Rappen, wenngleich nicht glückliche …
Die anderen Wochentage verbrachte er in seiner Bibliothek, mit über 30 000 Büchern. Manchmal auch im Jockey-Club von Bogotá, an dessen galanter Lässigkeit er gern teilnahm. Bis sie ihm fast zum Verhängnis wurde: Bei dem Versuch, sich im Sattel eine Zigarre anzuzünden, scheute sein Pferd und ging durch. Er wurde abgeworfen und erlitt komplizierte Knochenbrüche, die ihm später das Gehen schwermachten.
Den Ästheten Dávila gruselt es, wohin er blickt. Die modernen Metropolen bezeichnet er als »Krankheit« und »Müll«. Und die Kultur bietet für ihn keinen Ausweg, denn »Kultur wird niemals die Muße des Arbeitenden ausfüllen, da sie nur die Arbeit des Müßiggängers ist«. Sofern Kultur denn überhaupt noch existiere. Das, was Dávila unter Kultur versteht, Bildung, Kenntnis der Antike, hält er für längst gesellschaftlich verpönt.
Dávilas apodiktischer Stil unterwirft die Gegenwart nicht konstruktiver Kritik, er lehnt sie schlicht ab. Seine Aphorismen sind geprägt vom ästhetischen und religiösen Ekel vor der Verwandlung des Menschen in einen Verbraucher. Eine Metamorphose, die Dávila sowohl von den westlichen Demokratien betrieben sah wie vom Kommunismus, der ja auch nur »die Ermöglichung eines grenzenlosen Konsums« anstrebe. Der Kommunismus sei im Zweifel aber noch schlimmer als die Demokratie, denn er lasse keine oberen Gesellschaftsschichten zur Orientierung mehr zu: »Die Polizei ist in der klassenlosen Gesellschaft die einzige soziale Struktur.«
»Die Parteigänger einer Sache sind in der Regel die besten Argumente gegen sie.«
Entzauberte Welt. Doja Hacker. 5. 2. 2006. Der Spiegel.

Das muß zurückgenommen werden, dem zurzeitigen Anführer, der für seine Wahrheit, der für seine Genauigkeit, der für sein Wissen, der für seine Glaubwürdigkeit reihum bekannt ist, er könnte für diese Website lange Einträge schreiben, für eine Website die nicht einmal das weiß, daß der Kopf, der ihr Signet ist, sie als solcher bereits nicht symbolisch, sondern tatsächlich kenntlich macht, nicht „Junglingsgestalt“ heißt, sondern Arno Breker seine Figur, von der sie ihren Kopf nahm, einen Titel gab: „Herold“.
Bliebe er, der zurzeitige Anführer, still in seinem Haus, allein mit seinen Büchern, seiner Genauigkeit, seinem Wissen, seiner Wahrheit, seiner Glaubwürdigkeit, sein Ansehen im elterlichen Tal wüchse übers Jahr schon ins Unermeßliche —
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