Stockers Testimonial

In diesem Dezember ’22, kurz vor dem Jahreswechsel, war es dann soweit, der Entschluß gefaßt, doch einen Wandertag in Kärnten einzulegen, die Verlockung war zu groß, doch einmal die Route abzugehen, die einer Schilderung am Nebentisch in einem Kaffeehaus entnommen wurde, im Sommer ’20.

Ausschlaggebend für die Entscheidung für einen Wandertag, einmal in Kärnten, das muß zugegeben werden, war nicht in erster Linie das belauschte Gespräch am Kaffeehausnebentisch, sondern der Umstand, kurz vor Marias Niederkunft etwas zu Barbarossa gelesen zu haben

Von seiner oberkärntnerischen Schlucht aus loszugehen, und dann bis nach Sachsenburg zu wandern, war die Route für diesen Wandertag, gemäß der Schilderung.

In Sachsenburg angekommen, nach Besichtigung von allem Bedenkenswerten in Sachsenburg, hungrig und durstig geworden, verblieb bis zur Abfahrt des Obmnibusses noch Zeit, um im Lebensmittelgeschäft „Land aufs Herz“ Proviant einzukaufen.

Mag der Hunger noch so groß sein, mag der Durst noch so groß sein, der Durst und der Hunger nach Büchern läßt aber stets die körperlichen Forderungen sofort vergessen, wenn Bücher gesehen werden. Und so konnte es kein Vorbeigehen an der Bücherkiste geben, die im Lebensmittelgeschäft aufgestellt ist, bei Obst und Gemüse. Ohne in der Bücherkiste wühlen zu müssen, um herauszufinden, welche Bücher hier gegen eine Spende von einem Euro überhaupt verschenkt werden, fiel augenblicklich ein Buch auf:

„Narvik 1940“, verziert mit einem Anker, einem Propeller und einem Edelweiß

Dieses Buch zu nehmen, ohne noch in der Bücherkiste zu stöbern, die anderen Bücher je zu beachten, dieses Buch aus der Bücherkiste zu nehmen, dieses Buch mitzunehmen, dieses Buch aus dem Verkehr zu ziehen, dieses Buch wenigstens hier im Landaufsherzgeschäft aus dem Umlauf zu nehmen, dieses Buch wenigstens hier in Sachsenburg keinem weiteren Menschen zur Lektüre zuzuführen, war sofort entschieden, war, wenn es so gesagt werden darf, die augenblicklich zu erfüllende Pflicht, als das Buch aufgeschlagen war:

Karl Springenschmid
Die Männer von Narvik
Das große Abenteuer in der Arktis

Von Karl Springenschmid muß nichts mehr erzählt werden, wessen Gesinnung er diente – zu viele Kapitel … ein Schriftsteller, der, wäre die Gegenwart in Österreich nicht so wie sie ist, in keinem Kapitel je vorzukommen hätte —

Darunter den Namen des Verlags zu lesen,

Leopold Stocker Verlag
Graz und Stuttgart

war nicht das Überraschbare, es war, beinahe könnte gesagt werden, das Erwartbare. Auch wenn das Erscheinungsjahr bei der Angabe zu den Rechten dieses Buches fehlt,

Die auf dem Schutzumschlag dargestellten Gebirgsjäger sind Männer des „Büffelunternehmens“, die eben in Narvik vor General Dietl angetreten sind.
Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten
Copyright by Leopold Stocker Verlag GmbH
Printed in Austria
Druck: Friedrich Jasper, 1030 Wien

so geht dieses doch aus dem Text hervor, zu lesen auf Seite 298; es muß also kurz vor, um 1970 herum erschienen sein.

„Seither sind nahezu dreißig Jahre vergangen. Die jungen Soldaten Dietls sind reife, erfahrene Männer geworden. Was sie damals in

Es wäre auch dieses Buch, das vor über fünfzig Jahren erschienen ist, in keinem Kapitel zu erwähnen, wenn die Gegenwart in Österreich eine andere wäre, aber der Stocker-Verlag der Gegenwart ist kein anderer Verlag als vor fünfzig,

als vor fünfundachtzig,

als vor einhundert Jahren, und wie in der Vergangenheit gelingt es ihm in der Gegenwart Österreichs, Referenzen und Zeugnisse für seine Ehrenwertigkeit einzuholen, von der höchsten Staatsspitze abwärts,

etwa von dem Präsidenten des österreichischen Parlaments als Stockers Testimonial —

Narvik erlebt haben, ist in weite Ferne gerückt. Jene aber, die den Kampf im hohen Norden an verantwortlicher Stelle geführt haben, sind nicht mehr unter uns. General Dietl kam am 23. Juni 1944 bei einem Flugzeugunglück in den niederösterreichischen Bergen ums Leben.

Das ist auf Seite 300 des Stockers Buch zu lesen, auf der vorletzten Seite des Stockers Buch wird nicht verabsäumt zu berichten, was aus den „Führern des Narvikkampfes“ geworden ist. Aus General Dietl, von dem im Stockers Buch viel erzählt wird, auch „Geschichten und Anekdoten“ – kurzum, all das erzählt wird, was Ehre und Stolz hergeben —

Dietl kannte seine Jäger, die Jäger kannten ihn. Er war ihr General, gewiß. Aber er war zugleich ihr Bergkamerad, das heißt einer von ihnen, einer der mit ihnen lebte, der alle Not, alle Strapazen mit ihnen teilte. Immer war Dietl unterwegs, ja, er war, wie die Jäger sagten, beinahe so allgegenwärtig wie der liebe Gott. Plötzlich tauchte er irgendwo, wo man ihn am wenigstens vermutet hätte, vor ihnen auf. Da stand er in seiner alten, zerschlissenen Windjacke, den Rucksack, von dem er sich niemals trennte, über der Schulter, einer, der nicht anders aussah wie alle anderen. Und immer wußte Dietl das richtige Wort zu finden, wußte Rat und Hilfe. Unzählig sind die Geschichten und Anekdoten über ihn, die in den Stellungen von Mund zu Mund gingen. Ein Beispiel nur: „Einmal hob Dietl die grobe Decke zur Seite, die über den Eingang zu einem Felsenloch hing und sagte in das Dunkel hinein: „No, wie geht’s?“ Ein langer Kärntner kniete da drinnen auf dem Boden, mit dem Rücken zum Eingang und versuchte, Feuer zu machen. „Hob ka Zeit nit“, brummte er, ohne sich umzusehen. „I hätt di aber gern von vorne g’sehn“, meinte Dietl. „Nachher schaust halt du, daß du a Feuer zsommbringst“, rief der Kärntner zornig und stand auf. Da sah er den General vor sich. „Das kann i wohl“, lachte Dietl, kniete hin, „schau, das geht so!“ und blies solange in die schwache Glut, bis das nasse Holz Feuer gefangen hatte. Besonders köstlich waren solche Begegnungen, wenn Dietl, der Urbayer, mit Leuten von der Wasserkannte, den Matrosen, zusammentraf. Einer der Männer von der Marineflak hat dies einmal folgendermaßen geschildert: „Dann kam General Dietl […] ‚Det is’n Jeneral‘, sagte einer von uns, als Dietl nach langer Unterhaltung wieder weitergeradelt war, ‚ick hab mir n‘ Jeneral immer ganz anders vorjestellt, so’n Zugeknöppten bis ohnenhin. Aber ick laß mir jerne bekehren.'“ Als Dietl einmal […]

So wird in dem Stocker Buch, der wehrmachtigen Ehre und dem wehrmachtigen Stolz verpflichtet, über Eduard Dietl geschrieben. Und was Dietl nicht nur einmal tat, davon ist im Stocker Buch nichts zu lesen, was Eduard Dietl tat und wer Eduard Dietl war, dafür müssen andere Schriften aufgeschlagen werden, Bücher, von denen der Stocker-Verlag bis zum Heute herauf wohl meinte, diese zu verlegen, wäre unter seiner Ehre —

Den Sieg der Gebirgsjägertruppen gegen britische und norwegische Truppen im Kampf um die
strategisch wichtige Hafenstadt Narvik schlachtete die NS-Propaganda aber besonders aus, um populäre
Kriegshelden zu schaffen. Zum Volkshelden stilisierte Propagandaminister Joseph Goebbels an erster
Stelle den Befehlshaber der 3. Gebirgsdivision Eduard Dietl, seit 1919 ein enger Wegbegleiter Hitlers.

Die Kärntner Nationalsozialisten versuchten Narvik und das GJR 139 für ihre eigenen Interessen zu nutzen. Die Kärntner Version des Narvik-Mythos verknüpfte die Verherrlichung des „Abwehrkampfes“ von 1919/20 mit den Oden an die Kampfbereitschaft der Gebirgsjäger am Eismeer, im Kaukasus und auf Kreta. Hatten die Kärntner 1919/20 an der Südgrenze des Deutschtums einen „Sieg in deutscher Nacht“ für das Reich erfochten, würden sie nun an seinen äußersten Fronten die „Ehre Kärntens in ihrer Faust halten“, wie SS-Sturmbannführer Karl Fritz postulierte. Die Kärntner NS-Führer erinnerten stets an das Wort Hitlers „Narvik hat mir den Krieg gewonnen“, um zu betonen, dass der „Großteil der Gebirgsjäger aber, die Narvik nahmen, […] Söhne unserer geliebten Heimat“ waren. Ähnliches über die Ausnahmestellung der Kärntner Gebirgsjäger wurde den Schulkindern erzählt. Nach dem Kärntner Geschichtslehrplan vom Jahr 1941 wurden sie über germanische Siege vom „Abwehrkampf“ über die „Befreiung im März 1938“ bis zum Sieg von Narvik unterrichtet: „Als treue Kämpfer des Reiches stehen die Kärntner heute an allen Fronten dieses Krieges. Vor allem haben sie mit den Steirern Narvik dem Reich erkämpft!“ Immer wieder zogen die Kärntner Nationalsozialisten als Kronzeugen für den besonderen Heldenmut der Landessöhne den Befehlshaber der 3. Gebirgsdivision Eduard Dietl heran, der bald nach dem Triumph von Narvik Kärnten einen Besuch abstattete und ein „großes Narvikkämpfertreffen nach Kriegsschluß in Klagenfurt“ ankündigte. Bei einem zweiten Besuch in Kärnten Ende November 1942 wieder mit großen Kundgebungen musste Dietl schon verkünden, dass er an den „Sieg Deutschlands glaube“. Narvik wurde beschworen, um die Soldaten und die Bevölkerung auf die Gewissheit des Sieges in bereits schwieriger Lage einzuschwören. „Dieser Krieg verlangt alles – auch von der Heimat!“ – „Der Tag wird kommen, da wir zurückschlagen werden!“ lauteten die Parolen. Während Dietl in seinen Reden mobilisierte, betrieb Gauleiter Rainer bereits besondere Traditionspflege für das GJR 139: „Und dennoch darf Kärnten für sich ein besonderes Vorrecht beanspruchen: jenes Regiment, das mit Ihnen in Narvik kämpfte und aushielt, ist das Traditionsregiment zweier Kärntner Truppenkörper, das Khevenhüller-Regiment Nr. 7 und das Gebirgsschützen-Regiment 1 – es ist unser heimisches Gebirgsjäger-Regiment. Die ruhmvolle Geschichte dieser Truppenkörper, deren Tradition von dem jungen Kärntner Regiment fortgesetzt und gepflegt wird, ist die Grundlage des Stolzes und des Vertrauens der Heimat auf ihre Soldaten.“ Hoch im Norden zelebrierte das GJR 139 am 10. Oktober die Erinnerung an den „Abwehrkampf“ als Beispiel für den gegenwärtigen Kampf gegen den „Bolschewismus“. Einer der Proponenten dabei war der Propagandaleiter des Abwehrkampfes und NS-Funktionär Hans Steinacher, der nun Festungskommandant von Kirkenes war. Dort schrieb er seine Memoiren „Sieg in deutscher Nacht. Ein Buch vom Kärntner Freiheitskampf“ und pries das „deutsche Schwert“.

Die mit Dietl aufs Engste verbundene reichsweite Version des Narvik-Mythos und seine Anwendung in
der Kriegspropaganda war von Rassismus und Antisemitismus durchdrungen. Dietl agierte nicht aus
Anpassung an das Regime (wie es vielleicht bei […] der Fall war); er war ein Nationalsozialist der
ersten Stunde.

Dietl konnte sein Versprechen vom Dezember 1940, nach dem Krieg ein großes Narvik-Treffen in Klagenfurt zu veranstalten, nicht wahrmachen – er verunglückte im Jahr 1944. Aufgrund des
Ausbleibens des „Endsiegs“ und der alliierten Besatzung war es auch den Veteranen seiner
Truppenkörper bis 1955 versagt, dieses Vorhaben zu realisieren.

Nach dem Ende der Besatzung verging nur kurze Zeit bis der ranghöchste Militär Kärntens Anton
Holzinger als Kommandant der 7. Gebirgsbrigade des Bundesheeres Dietls Versprechen in die Tat
umsetzte und die Traditionslinie, wie sie Gauleiter Rainer gezeichnet hatte, weiterführte, indem er die
Soldaten der 7. Gebirgsbrigade in die Nachfolge des GJR 139 setzte. Er war der maßgebliche Akteur
der großen Gebirgsjägerfeier im Jahr 1959, bei der er den „kühnen Sieg über Norwegens Nordarmee“
pries, von einem der „kühnsten Unternehmen der Kriegsgeschichte“ sprach. Ähnlich schwülstig und
fast wortgleich wie Rainer 1942 meinte er: „Das Regiment, das die Hauptlast des Kampfes trug und dessen Helden die Männer von Narvik waren, war das Kärntner Hausregiment, das wieder unvergänglichen Lorbeer um sein Feldzeichen gewunden hatte.“

Im Gegensatz zu dieser Veteranenliteratur gilt die Schlacht um „Narvik“ in der militärwissenschaftlichen Forschung nicht als heroische militärische Manöverleistung numerisch unterlegener gegen übermächtige Truppen. Sie wird im Hinblick auf die Lehren, die die Wehrmachtsführung aus dem Kampf zog, durchwegs kritisch gesehen. Eine Erkenntnis war, dass die verbissene Kriegsführung Dietls und seiner Regimentskommandanten Hitler von seiner bereits gezeigten Bereitschaft gegen eine Übermacht von feindlichen Truppen zu kapitulieren (er empfahl den Abzug nach Schweden) abgebracht hatte. Hitlers spätere Devise des Kämpfens bis zum letzten Mann wurde als eine Konsequenz der Erfahrung von Narvik verstanden – „die dann Hunderttausenden Soldaten das Leben kosten sollte“. So gesehen führte der Sieg von Narvik in den Untergang von Stalingrad.

Eine andere Relativierung des Heroismus der Gebirgsjäger bringt die Tatsache, dass die Einnahme von Narvik am 8. Juni 1940 wesentlich durch den vorzeitigen Abzug der britischen Truppen an die Westfront erleichtert wurde. Hinzu kam die Einschätzung, dass Dietl insbesondere beim folgenden Angriff auf die Sowjetunion skrupellos große Verluste unter den eigenen Soldaten in Kauf nahm.

Dennoch steht Dietls truppendienstliche Verantwortung für Kriegsverbrechen außer Zweifel. Die von ihm beim Angriff auf die Sowjetunion in Finnland kommandierten Truppenkörper führten den Kommissar-Befehl aus und übergaben Kriegsgefangene zur Exekution an den Sicherheitsdienst der SS. Im Vergleich zu anderen Frontabschnitten machte die Norwegenarmee 1941 nur wenige sowjetische Gefangene – der Grund, warum in den Divisionsakten kaum Exekutionen von Rotarmisten nachweisbar sind. Römer verweist zugleich auf den Feldpostbrief eines Soldaten, in dem es hieß, dass sowjetische Politoffiziere sofort liquidiert würden. Angelastet wurde Dietl auch die Verantwortung für Feldstraflager in Norwegen und Finnland, in die verurteilte Strafgefangene – unter ihnen viele Wehrmachtssoldaten – aus Konzentrationslagern und Wehrmachtsgefängnissen eingewiesen wurden. Hier kam es wiederholt zu Exekutionen von arbeitsschwachen Häftlingen. Der Osttiroler Soldat des GJR 139 David Holzer war 1942/43 an der Front bei Murmansk und nannte als ein Motiv für seine Desertion die unmenschliche Behandlung von sowjetischen Kriegsgefangenen. In einem Interview mit dem Autor schilderte er eine willkürliche Erschießung von sechzig Kriegsgefangenen, nachdem sechs aus einem Kriegsgefangenenlager entwichen waren.

Fast zur gleichen Zeit als […] erstmals als Namenspatron für das ehemalige Kommandogebäude
des GJR 139 in Klagenfurt vorgeschlagen wurde, stellte die deutsche Bundeswehr 1964 eine Kaserne
in Füssen unter die Namenspatronanz von „Generalsoberst Dietl“. Eine zweite Kaserne in Bayern wurde
nach dem Kommandanten der 1. Gebirgsdivision der Wehrmacht Ludwig Kübler benannt. Doch in
Deutschland wurde dieser Art von Traditionspflege weit konsequenter als in Österreich widersprochen.
Nach jahrelangen Protesten von Bürgerinitiativen entschied der damalige Bundesminister der
Verteidigung Volker Rühe (CDU) 1995 gegen den Widerstand von Kameradschaftsverbänden der
Gebirgsjäger beide Kasernen neu zu benennen, weil Dietl und Kübler keine Vorbilder für die Streitkräfte
einer demokratischen Republik sein können. Die Kasernen bekamen unverfängliche topographische
Bezeichnungen.

Dies ist zitiert aus dem Gutachten Ein Fall „besonderer Traditionspflege“ von Peter Pirker.

Im gegenwärtigen Stocker-Programm wird die „Narviksaga“ nicht mehr geführt. Jedenfalls bringt die Suche kein diesbezüglichen Treffer. Als Treffer angeboten wird dafür „Krieg im Eismeer“, in dessen Werbung gleich prominent der Name Eduard Dietl gesetzt ist, und wie recht kritisch die Werbung für Stockers Buch —

Damit war ein neuer Held geboren: General Eduard Dietl erhielt als „Sieger von Narvik“ als erster Soldat der Deutschen Wehrmacht das neu gestiftete Eichenlaub zum Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes. Nicht weniger als sieben weitere Narvik-Kämpfer des Gebirgsjäger-Regiments 139 wurden mit dem begehrten Ritterkreuz ausgezeichnet. Ein Jahr später hatte Dietl als Kommandierender General des eigens für ihn zusammengestellten Gebirgskorps Norwegen den Auftrag, im Rahmen des Russlandfeldzuges über eine Strecke von rund einhundert Kilometern den sowjetischen Eismeerhafen Murmansk und die Murmanbahn zu erobern, die immer mehr von den alliierten Geleitzügen angesteuert wurden, um die UdSSR mit Kriegsmaterial aller Art zu versorgen. Aber Dietl, der nie eine Generalstabsausbildung durchlaufen hatte, scheiterte an dieser Aufgabe. Als einzigem Kommandierendem General der gesamten Ostfront gelang es ihm trotz wiederholter Angriffe bei allergrößten Verlusten nicht, sein operatives Ziel – Murmansk und die Murmanbahn – zu erreichen. Dieser Misserfolg war neben anderem auch darauf zurückzuführen, dass die besonderen Kampfverhältnisse am Eismeer bei der Vorbereitung der Offensive gegen diesen wichtigen Nachschubweg nicht die notwendige Beachtung gefunden hatten. Der Sieg bei Narvik war Voraussetzung für die Offensive gegen Murmansk. Der Rückschlag an der Murmanbahn degradierte den deutschen Erfolg von Narvik zum Pyrrhussieg. Unter dem Gesichtspunkt dieser Wechselbeziehung wird in diesem Buch erstmals die Schlacht in der Arktis in den Kriegsjahren 1940 bis 1941 zusammenfassend dargestellt.

Dieses Buch ist von einem Autor, der bereits einmal in einem Kapitel erwähnt wurde, in dem es auch um „Gebirgsjäger“ geht, auch um einen General, den alle kannten, ihren General

Stockers Springenschmid läßt sein Buch, das aus dem Landaufsherzgeschäft neben Obst und Gemüse mitgenommen wurde, um es Unbedarften, die unbedarft sein wollen, der Lektüre zu entziehen, wie folgt enden:

Die Kämpfe um Narvik haben, so scheint es, keinen berufenen Sprecher mehr. Auf den Gräbern der Gefallenen blüht, was der kurze arktische Sommer an Blumen schenkt. Aber auch dies sind Blumen des Vergessens. Und doch – je mehr sich der zeitliche Abstand, der uns von jenen Tagen trennt, vergrößert, desto deutlicher treten die Grundlinien dieses Kampfes hervor, des letzten Kampfes, den Soldaten gegen Soldaten geführt haben, ohne daß Material und technische Perfektion das Bild des Kampfes bestimmt hätten. In diesem Sinne wird der Kampf um Narvik immer im Gedächtnis der Welt bleiben.

Noch viel tiefer hat sich die Erinnerung an diesen Kampf dem norwegischen Volke eingeprägt; denn vor dem Hintergrund des permanenten Friedens, in dem die Norweger zu leben gewohnt waren, zeichnen sich die Konturen dieses Kampfes mit besonderer Deutlichkeit ab, auch wenn der Zwiespalt der öfffentlichen Meinung noch immer die Gültigkeit dieses Bildes stört. Doch längst sind die Wunden, die der Krieg geschlagen hat, vernarbt. Aus Schutt und Asche ist Narvik auferstanden, größer, reicher, schöner denn je, tüchtig und lebensfroh wie immer. Unablässig rollen die langen Erzzüge von den Bergen herab, und im Hafen stehen deutsche Frachtschiffe friedlich neben englischen, um das begehrte Schwedenerz aufzunehmen. Warum dieser Kampf? fragt die junge Generation der Stadt, wenn alles so ist, wie es früher war? Erz genug! Erz für alle! Erz für alle! Die Motive dieses Kampfes sind uninteressant geworden. Die Fragen der Jugend bleiben ohne Antwort. Es ist nicht üblich, über das, was diese Stadt erlebt hat, zu sprechen. Den Menschen des Nordens liegt das Schweigen näher als das Sprechen. Was den Älteren noch Erinnerung ist, ist der jungen Generation Legende geworden. Mag sein, daß in fernen Zeiten der Kampf, den die Männer dieses Landes um dieses Stück Arktis geführt haben, für die Menschen des Nordens, die gewohnt sind, hinter die Dinge zu blicken, aus der geschichtlichen Wirklichkeit in jene geheimnisvolle Welt der Saga emporgehoben wird, in der uns die großen Gestalten dieses Volkes begegnen: Der Kampf um Narvik wird zur Narviksaga werden.

Stockers Buch aus dem Landaufsherzgeschäft war in einem tadellosen Zustand, es muß mit dem Buch über Jahrzehnte sorgsam umgegangen worden sein, behütet worden sein wie ein sachensburgischer Familienerbschatz – es fehlte bloß der Schutzumschlag, dann hätte es als ganz neuwertig feilgeboten werden können. Aber vielleicht wurde es erst viel später, lange nach seinem ersten Erscheinen gekauft. Es kann immer noch gekauft werden, auch jetzt noch, im Jänner 2023, sogar mit seinem Schutzumschlag, auch von einem sachsenburgerischen Zuhause aus kann es bequem bestellt werden, in dem Laden, der alles führt, freilich nicht um eine Spende von einem Euro, sondern um 23,99 Euro – „Sofortversand, sicher und zuverlässig aus Österreich“ …

Es hätte Stockers Buch im Landaufsherzgeschäft – ein Land auf ein Herz legen, was für eine Masse, was für ein Gewicht, das muß doch ein Herz zu einem Lappen plattwalzen, für seine natürlich vorgesehene Funktion nicht weiter zu gebrauchen, vielleicht noch nach seiner Trocknung brauchbar zum Aufwischen des Bodens – liegengelassen bleiben können, wie töricht zu meinen, ein Buch Unbedarften der Lektüre entziehen zu wollen, wenn Unbedarfte, die unbedarft sich geben, jedwedes Buch heutzutage so leicht erwerben können, mit ein paar Klicks, und das nicht nur in diesem Laden, und das nicht nur von Sachsenburg aus …

In diesem Laden ist zu erfahren, wann Stockers Buch zum ersten Mal erschien: 1. Jänner 1968.

Übrigens. Es gibt noch einen „Führer des Narvikkampfes“, der in Stockers Buch einen ehrenstolzen Platz einnimmt, von dem wird doch noch zu erzählen sein, im nächsten Kapitel, aber nicht seinetwegen, sondern wegen der Partei der Vergangenheit in der Gegenwart, die sich um diesen „Führer“ bemüht, die nicht will, daß sein Name ausgetasucht wird, die ihre seine Sage