„Ich habe in der ÖVP noch nie solch eine Leere erlebt wie derzeit.“
Am 9. Mai 2023 ist in den Medien zu lesen, was Heinrich Neisser zu seiner Partei sagt, deren Klubchef er im Parlament war, für sie ihr zweiter Nationalratspräsident war und an die Universität Innsbruck wechselte, aus der Parteipolitik sich zurückzog, als Wolfgang Schüssel sein Heil
mit Jörg Haider …
Es ist nicht das erste Mal, daß Heinrich Neisser von der christschwarzen Leere spricht …
Als Christdemokrat, klagt Neisser, habe man in der ÖVP heute keine verlässliche Heimat mehr. „Diese Partei hat es aufgegeben, das Christlich-Soziale zur Richtlinie ihres Verhaltens zu machen. Es gibt eine geistige Leere, und es ist niemand in der Lage, diese zu füllen. Der Vereinsamungsprozess in der ÖVP dauert schon länger. Seit dem Tod von Erhard Busek fühlt man sich noch einsamer und alleine. Die Frage, ob man sich politisch noch engagiert, wird sich irgendwann stellen.“
News-Magazin Nr. 12/2023. Wiederholt am 24. März 2023
Die ÖVP Niederösterreich, Machtbasis und geistiges Zentrum der Partei, lässt sich auf eine Koalition mit der notorisch rechten niederösterreichischen FPÖ ein. Viele deuten diesen Pakt als Vorzeichen für eine neuerliche schwarz-blaue Koalition im Bund. Kritische Beobachter warnen: Die Inhaltsleere der ÖVP und die zunehmende Radikalisierung der FPÖ könnten zu ungarischen Verhältnissen in Österreich führen.
Mit einer „Ära“ wird landläufig etwas Großes, Langes in Verbindung gebracht, nun, die Ära Kurz, über die Heinrich Neisser froh ist, daß sie vorüber ist, war tatsächlich bloß das, was die Ära ist: eine Abfolge von Jahren, an die erinnert wird, wenn an sie je erinnert wird, als die Hollerjahre Österreichs …
In seinem Interview mit der Wochenzeitung „Die Furche“ vom 15. Dezember 2021 kommt diese kurzische Abfolge der Jahre erschöpfend und kenntlich von Heinrich Neisser zur Sprache, so daß, da es vorüber ist, hierzu nichts mehr zu schreiben ist. Es wird ohnehin alles gewußt, und was Heinrich Neisser wahrgenommen hat, deckt sich doch auch mit dem von ihm erwähnten Erhard Busek, der nur eines zu sagen wußte über …
Wer dennoch diese kurzen Jahre der „Fertigteilsprache“ sich in Erinnerung rufen möchte, es gibt, konnte am heutigen 10. Mai 2023 festgestellt werden, den nach wie vor abrufbaren Podcast der Wochenzeitung …
Die Abfolge der Jahre ist vorüber, aber die Folgen dieser Jahre sind nicht vorüber, und auch über die Folgen dieser Jahre ist einiges von Heinrich Neisser in diesem Interview zu erfahren, die zu erinnern sind für die kommende Nationalratswahl in Österreich, mag diese schon in diesem oder im nächsten Jahr …
Ich glaube, daß die katholische Soziallehre, die ja wirklich ein Kern auch der ÖVP in der Zweiten Republik war, der ÖAAB […] war ja hier noch ein Fahnenträger, er ist es heute überhaupt nicht mehr […] weil alles nur mehr nach praktischen Gesichtspunkten läuft. Aber die ÖVP müßte sich beispielsweise die Frage stellen, wie weit die katholische Soziallehre, jetzt nicht übernommen werden kann, aber Substanz enthält, die man in eine moderne Sozialpolitik, in eine christlich-soziale Politik aufnehmen kann, und ich glaube, da liegt viel drinnen, es gibt ja Diskussion im wissenschaftlichen Bereich, nicht nur im theologischen Bereich, sondern auch im sozialwissenschaftlichen Bereich, was man hier also alles, das man hier etwas tun könnte. Sie müßte nämlich überlegen, daß sie sich kritisch auseinandersetzt mit den geistigen Quellen, aus denen sie kommt. Das heißt nicht, daß man wieder zu ihnen zurückkehrt telquel, das heißt auch nicht, daß man sie abschaffen soll, sondern es bedeutet, adaptieren, man hat ja viel, es ist ja ein geistiges, eine Substanz hier, mit der man sich auseinandersetzen kann. Genau dieselbe Diskussion müßte man in der ÖVP über den Liberalismus führen, weil natürlich die Frage des Neoliberalismus und seine Wirksamkeit nach wie vor im Raum steht […] Alles das müßte man jetzt, verstehen Sie, aber da brauchens natürlich große Köpfe, und ich sagen Ihnen ehrlich, ich sehe eigentlich niemanden in der ÖVP, der so einen Prozeß angehen könnte und organisieren könnte.

Die Personalentscheidungen waren, aber ich verwende keine Namen. Sie verzeihen mir das. Aber, es ist, die waren, die Leute sind […] nicht. Es hat schon angefangen, daß die, die in die Regierung gekommen sind, haben nicht gewußt, wie man ein Ministerium führt oder wie man mit einem Ministerium umgeht. Das Ergebnis ist auch jetzt eine Zurückdrängung des […] die Kabinette sind überschwemmt, haben riesige Ausmaße angenommen […] mit den Kabinetten dirigiert […]
Die ÖVP hat sich nach rechts entwickelt.
Mit der FPÖ regiert hat, daß der, so quasi, jetzt so ein Gegensatz, ein Gegenpol zur FPÖ ist, sondern, ich habe immer das Gefühl gehabt, das sind ohnehin, also auch die FPÖ, aber diese ideologische Einheit […] das ist das was mich stört. Ich habe in meinem Leben immer eine Position gehabt, die klar ist, die habe ich bis heute nicht aufgegeben. […] Ich habe ein Zusammengehen und ein Näherrücken der ÖVP mit denen, das war immer mein Problem, ich könnte Ihnen Geschichten erzählen, wie ich noch in der Politik war, ich habe mich ja oft auch geäußert dazu […] zur ÖVP, mit dem Haider […]
Furche: Das ist ja dann mit Schüssel auch entsprechend […]
Heinrich Neisser: Ja, ja, natürlich, damit hat ja eigentlich, das hat meine Distanz dann vergrößert.
[…]
Mache ich jetzt nur Politik für dort, wo ich eine Mehrheit, da das Gefühl, man hätte diese Frage von Lesbos, hätte man eigentlich, indem man irgendwo eine menschliche Geste setzt, die hätte der Kurz machen können, das hätte er gar nicht selber machen müssen, sondern er hätte andere unterstützen müssen, nicht wahr, hätte er zeigen können, so quasi, daß das eine Sache ist, die ihm in seinem Gewissen beschäftigt. Aber das ist nie hergezeigt worden, das ist alles nach Message Control serviert worden. Wir sind für Hilfe vor Ort, und das ist das bessere.
Die Übertragung der Aussage von Heinrich Neisser zu Lesbos auf der Website der Wochenzeitung soll auch zitiert sein: „Aber ja, seine Darbietung, als er als Innenminister österreichisches Gerät nach Lesbos brachte und meinte, man müsse vor Ort helfen, war furchtbar. Man hätte hier auch eine menschliche Geste setzen und zeigen können, dass einen das im Gewissen beschäftigt. Aber das ist nach Message Control serviert worden.“
Furche: Waren Sie schon in diesem viel zitierten Dollfuß-Museum in Texingtal?
Heinrich Neisser: Na, na, aber ich kenne natürlich die Geschichte dieses Museums […] Die meisten großen Affären, die entstehen, aus einer Ungeschicklichkeit oder Unempfindlichkeit sind. Wenn ich so ein Museum mache, muß ich natürlich wissen, muß ich damit rechnen, daß drei Tage später Leute kommen, die das ausspionieren, weil sie daraus wieder eine Diskussion […] Das Texing ist natürlich folgendes Problem, das haben wir ja erlebt, es gibt ja andere Orte, wo wir das Problem mit dem Hitler hatten, im Mostviertel, in Aschbach gab es eine Scheune, der hat alte Geräte der Nazis gesammelt und das ist eine Wahlfahrtsstätte der Nazis geworden. Und so war das natürlich auch, wenn die ein Gästebuch auflegen, und die schreiben dann rein, das war der Retter Österreichs usw., ist natürlich zu erwarten, ich kenne das, es gibt in CV-Kreisen noch, gabs, die sterben ja alle schon, gabs natürlich noch welche, die waren mit einer Emotionalität Dollfuß-Anhänger, nicht wahr, wenn dann die hinkommen und schreiben das eine, das ist ja heute alles schwachsinnig.
Das ist natürlich jetzt eine andere Seite, das ist diese Ungeschicklichkeit, die sind auch nicht sehr geschickt als Politiker. Ich meine, dem Karner als Bürgermeister dürfte so etwas nicht passieren. Ich mein, ich kann machen, der Dollfuß hat ein Geburtshaus dort, da kann ich eine Tafel hinhängen, das ist sicher etwas anderes […] in Braunau eine Hitler-Tafel aufhängen darf, das ist ganz was anderes, aber da ein Museum zu machen, und dort offensichtlich, aber das weiß ich nicht, ich habe es nur gelesen, so ein Kult, ein Erinnerungskult entstanden ist, das ist halt alles, wissen Sie, das ist genau des.
Noch einmal, am Ende: News-Magazin Nr. 12/2023. Wiederholt am 24. März 2023:
Die ÖVP, sagt Partei-Veteran Neisser, brauche eine geistige Erneuerung. „Ich sehe bei ihr nichts, das in die Zukunft weist. Das ist mir völlig unverständlich. Wenn sie nicht bald damit beginnt, einen grundlegenden inhaltlichen Prozess zu starten, wird sie in Zukunft bestenfalls als Dachverband der Landesorganisationen bestehen bleiben. In der Rede Nehammers war nichts, wo man sagt, das ist die Zukunft der Partei. Sie hat nur der Präsentation des Parteiobmanns gedient.“
In der Rede Nehammers war nichts, wo man sagt, das ist die Zukunft —
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