„Zeichen des bösen Willens“

Boehm, der in seinen Büchern für einen gemeinsamen Staat von Juden und Palästinensern eintritt, vertrete weder Israelis noch Juden und würde „Antisemiten in aller Welt den Weg ebnen“, sagte Oskar Deutsch, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien. Dass die Festwochen trotz aller Proteste an der Rede auf dem symbolträchtigen Judenplatz festhielten, sei ein „Zeichen des bösen Willens“. Er frage sich, warum die Stadt Wien, der Sponsor der Festwochen, dies zulasse.

Dass Boehm jüdisch sei, ändere nichts, sagte Deutsch und zog einen Vergleich mit dem einstigen Wiener Bürgermeister Karl Lueger, einem radikalen Antisemiten, der dennoch mit Juden befreundet war und dies mit dem kolportierten Satz rechtfertigte: „Wer a Jud ist, bestimme ich.“ Deutsch schloss seine Konferenzrede mit den Worten: „Wir können nicht akzeptieren, dass jene eingeladen werden, die Hass gegen Israel und Juden schüren.“

Wenn Sie das lesen, ob schnell oder ebenso langsam, gar ganz langsam, Wort für Wort sogar, Sie würden selbst auch nur zu einem Schluß kommen, zu demselben Schluß nämlich, der gezogen wurde, als das am 7. Mai 2024 zum Lesen vorgesetzt bekommen wurde, und käme es mit Ihnen zu einem Treffen, es müßten die Schlüsse einander nicht erzählt werden, zu offensichtlich ist der Schluß, der einzig daraus nur gezogen werden kann, ein Lächeln reichte, um einander zu versichern, zu demselben Schluß –

Und wenn Sie im Anschluß daran lesen, was Omri Boehm am 7. Mai 2024 auf dem Judenplatz sprach, und es käme mit Ihnen zu einem nochmaligen Treffen, es müßten die Schlüsse einander nicht erzählt werden, zu offensichtlich ist der Schluß, der einzig daraus gezogen werden kann –

Sie griffen vielleicht auch zu einem Vortrag von Theodor W. Adorno, den dieser 1962 hielt, weil es Ihnen ungehörig erschien, die Rede des Omri Boehm mit den Aussagen von Oskar Deutsch und Ariel Muzicant in einen qualitativen Vergleich zu bringen, Sie stattdessen lieber mit einem Zitat aus dem Nachwort von Jan Philipp Reemtsma zum Vortrag von Theodor W. Adorno „Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute“, der in diesem Jahr 2024 wieder aufgelegt wurde, zu beginnen:

Niemandem kann immer etwas Kluges einfallen. Sprachlosigkeit ist keine Tugend und ihre öffentliche Beschwörung nicht mehr als eine Sentimentalität. Aber wenn man etwas sagen muss, gibt es eine Pflicht, nachzudenken und sich nicht der Dummheit und der Phrase gedankenlos und gleichzeitig mit selbsterbaulichem Tremolo zu überlassen.

Unmittelbar davor schreibt Jan Philipp Reemtsma, und Sie lesen weiter:

In welcher Form und in welchen notwendigen Grenzen man auch immer das Auftreten staatlicher Autorität bei der Bekämpfung des Antisemitismus für richtig hält, am Anfang sollte stehen, dass staatliche Repräsentanten in den Kundgebungen ihres guten Willens sich nicht selbst lächerlich machen. Die Phrase, Antisemitismus habe in Deutschland „keinen Platz“, ist von abgründiger Dummheit. Auch wenn sie die Umformung eines Satzes mit „sollen“ oder „dürfen“ in eine verstärkende Aussage mit „sein“ oder „haben“ sein soll (Prototyp ist die Verwandlung von „soll nicht sein“ in „kann nicht sein“), dokumentiert diese Verstärkung bloß die Transformation empfundener Hilflosigkeit in kindischem Trotz. Eine Art Mit-dem-Füßchen-Aufstampfen. Denn es geht ja darum, dass manifeste antisemitische Agitation sich ihren Platz geschaffen hat. Gleichfalls ist der Satz „Nie wieder!“ dann eine Manifestation von Geistlosigkeit, wenn er in dem Augenblick gesagt wird, in dem es gerade wieder oder erneut geschieht.

Am 7. Mai 2024 auf dem Judenplatz hat Omri Böhm während seiner gesamten Rede die Statue von Lessing vor Augen.

Als Lessing in seinem Stück Die Juden dessen Hauptfigur und Sympathieträger am Ende als Juden offenbart, trägt ihm das die Kritik ein, ein Jude könne kein so symphatischer Mensch sein, müsse er doch wegen der Behandlung, die Juden christlicherseits erlitten, voller Ressentiment sein. Der deutsche Historiker Heinrich von Treitschke, der den Satz „Die Juden sind unser Unglück“ geprägt hat, warnte 1879 vor der jüdischen Einwanderung aus Polen mit dem Argument: „Wir Deutschen haben mit jenem polnischen Judenstamme zu thun, dem die Narben vielhundertjähriger christlicher Tyrannei sehr tief eingeprägt sind“ und der darum dem „germanischen Wesen“ fremd gegenüber stehe. Als Theodor Herzl die Unterstützung von Papst Pius X. für seine Idee eines Judenstaates in Palästina suchte, beschied ihm dieser, die Juden hätten Jesus nicht als Gottes Sohn anerkannt, er könne die Juden nicht als ein Volk anerkennen. Das alles heißt so viel wie: Die Juden werden uns Antisemiten wahrscheinlich hassen, weshalb wir etwas gegen sie unternehmen müssen.

Unter hinter Lessing, über der Statue das antisemitsche Relief, und Sie lesen aus dem Nachwort die Stelle vor:

Der Antisemitismus gewährt durch die Jahrhunderte eine klassische Lizenz zu Brutalität und Vulgarität. Das geht von Darstellungen wie auf dem Relief der Wittenberger Stadtkirche, wo Juden von einem Schwein gesäugt werden, dem ein Rabbiner in den After schaut, bis zu der Bereitschaft von Menschen, die sich durch wachsame Empfindlichkeit für Gender-Diskriminierung auszeichnen möchten, eine Organisation, die offen Vergewaltigungen und Schändungen nackter Frauenkörper als Teil ihrer Mordexzesse demonstriert, als Freiheitskämpfer legitimieren.

Sie winken ab, Sie wollen nicht abbrechen, sondern selbst weiter vorlesen, aus dem Nachwort von Jan Philipp Reemtsma.

Man darf also nicht versuchen, dem manipulativen Appell einen ebenso manipulativen Gegenappell entgegenzusetzen: „Keine mögliche Haltung gegen das antisemitische Potential, die nicht selber mit Aufklärung sich identifizieren müßte. Den Antisemitismus kann nicht bekämpfen, wer zu Aufklärung zweideutig sich verhält.“ Nicht immer, aber hier gewiss, gilt der Zusammenklang von Botschaft und Medium: Wer gegen Slogans auf Slogans setzt, bleibt in der Arena, die der, den man bekämpfen will, gewählt hat. Das ist einer der Gründe, warum manche Gegenprogramme so hilflos wirken. Wer die Parole „Juden raus!“ mit etwas wie „Rechtsradikalismus ist uncool“ begegnen will, hat schon verloren.

Und während Sie von der „antisemitischen Welle“, die vor fünfundsechzig Jahren begann, lesen, werden Sie vielleicht an die gegenwärtige Welle denken und Ihren Schluß daraus ziehen, der weder für die Vergangenheit noch für die Gegenwart ein positiver sein wird.

Der Antisemitismus im Nach-1945-Deutschland bekam Ende des Jahres 1959 eine alarmierende Gegenwärtigkeit. In Köln wurden am 24. 12. eine Synagoge und ein Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus mit antisemitischen Parolen beschmiert. Danach „verging über Wochen hinweg kein Tag, an dem nicht zwischen Flensburg und Oberstdorf Hakenkreuzschmiereien entdeckt und Parolen wie „Deutschland erwache!“, „Es lebe Hitler-Deutschland“ und „Das Hitler-Reich kommt bald wieder, Nieder mit den Juden!, Juden raus!“ und „Ab in die Gaskammern!“ zu lesen gewesen wären“. Die Reaktion des damaligen Innenministers Gerhard Schröder (CDU) entsprach etwa der Idee, die der Pädagogen-Konferenz von 1962 zu Grunde lag: „Wir haben [uns] zu fragen, was wir alle noch mehr als bisher tun können, um einige dunkle Vorurteile auszurotten, die immer noch in einigen alten Köpfen spuken und von dort her in einige jüngere Köpfe gepflanzt werden. Das ist es, was uns noch gründlich beschäftigen wird.“ In einer späteren Stellungnahme spricht Bundeskanzler Konrad Adenauer allerdings abwiegelnd von „Flegeleien ohne politische Grundlage“.

„Flegeleien ohne politische Grundlage“, das wird ihm sein Staatssekretär des Vertrauens möglicherweise eingesagt haben, vielleicht sogar aufgeschrieben haben, wie so vieles, daß er schreib, das ihn Österreich lieb und teuer machte mit einer Auszeichnung von höchster …

Abwiegeln, werden Sie vielleicht denken, das ist es, was nun in Jahrzehnten die gründliche Beschäftigung zwischen den Wellen und in jedweder Welle der Aufruf, noch mehr als bisher … In der Welle vor fünfundsechzig Jahren also die Parole von dem Österreicher Reich und in der nunmehrigen Welle hinzu die Parole vom Reich des Nachfolgers

Das führt zu der Frage, wie antisemitische Einstellungen mit anderen verbunden und überhaupt charakteristisch für eine bestimmte Mentalität sind. Adorno greift dabei einmal auf die Studien zum autoritären Charakter zurück, die das Institut für Sozialforschung im US-amerikanischen Exil begonnen und nach seiner Rückkehr in der Bundesrepublik Deutschland fortgefürht hatte. Aus dieser Studie stammt die Analyse von antisemitischen und anderen Haltungen als Teil eines „Tickets“ oder, wie Adorno auch sagt, „Planke in einer Bühne“. Ressentiments sind selten isoliert von anderen Ressentiments. Wer die eine Minderheit abwertet, wird auch eine andere nicht gelten lassen, wer Frauen für minderwertig hält, wird Homosexuelle verabscheuen, der Ku-Klux-Klan verfolgt Afroamerikaner und Juden. Eine frappierende Bestätigung dieser Beschreibung aus den 1940er Jahren lieferte der US-amerikanische Soziologe Mark Juergensmeyer in seinen Studien zum internationalen Terrorismus [„Terror in the Mind of god, Oakland 2017.]: Wo immer sich radikale, gewaltbereite Gruppen fanden – in den USA, in Europa, in arabischen Ländern, in Israel, in Japan –, hassten sie dieselben Gruppen: Homosexuelle, Frauen, Schwarze, Juden, Amerikaner [„Die israelischen Terrorbereiten hassten Tel Aviv, die US-amerikanischen Washington“].“

Sie bemerken vielleicht, es will doch auch gehört werden, was Theodor W. Adorno selbst vortrug, und Sie lesen vor:

Sie dürfen nicht annehmen, der Antisemitismus sei ein isoliertes und spezifisches Phänomen. Sondern er ist, wie Horkheimer und ich das seinerzeit in der „Dialektik der Aufklärung“ ausgedrückt haben, der Teil eines „Tickets“, eine Planke in einer Plattform. Überall dort, wo man eine bestimmte Art des militanten und exzessiven Nationalismus predigt, wird der Antisemitismus gleichsam automatisch mitgeliefert. Er hat sich in solchen Bewegungen bewährt als Mittel, das die sonst divergierenden Kräfte eines jeden Rechtsradikalismus auf die gemeinsame Formel zu bringen geeignet ist. Dazu kommt, daß das Potential durchaus überlebt hat. Sie brauchen sich dazu nur die rechtsradikale Presse in Deutschland anzusehen, von der es eine erkleckliche Anzahl von Repräsentanten gibt[.]

Gespielt wird, wohl auch in Flüsterpropaganda, auf dem alten Instrument: „Wir werden verraten, wir werden im Stich gelassen.“ Der Ruf „Verrat, Verrat“ ist dieseits wie jenseits des Rheins demagogischen außerordentlich bewährt.

Im übrigen sind, und keineswegs primär in Deutschland, die Hetzbilder gegen den Intellektuellen, mit denen viele Massenmedien operieren, oft nur leise verschleierte Stereotype des Antisemitismus. Man sollte bei der Filmindustrie vorstellig werden, daß sie derlei anti-intellektuelle Stereotype wegen jener Implikationen vermeidet. Allerdings sind sie keineswegs bloß auf die Kulturindustrie beschränkt, sondern geistern auch in der sogenannten hohen Kultur. Ich habe seinerzeit entwickelt, daß in einem der berühmtesten Werke des deutschen Operntheaters, den Meistersingern, die kraß negative Figur Beckmesser, obwohl er als Zunftangehöriger natürlich kein Jude sein kann, doch so charakterisiert ist, daß alle erdenklichen antisemitischen Stereotype wiederkehren. Zumal einer bestimmten traditionellen, etablierten deutschen Kultur gegenüber wäre es notwendig, das auszusprechen und zu entgiften. Welches Unheil etwa heute noch durch die Lektüre von Büchern wie „Soll und Haben“ von Gustav Freytag angerichtet wird, wage ich kaum auszudenken. Der Respekt vor dem sogenannten kulturellen Erbe sollte nicht verwehren, es von nahe zu besehen. Der Antisemitismus ist nicht erst von Hitler von außen in die deutsche Kultur injiziert worden, sondern diese Kultur war bis dorthinein, wo sie am allerkultiviertesten sich vorkam, eben dohc mit antisemitischen Vorurteilen durchsetzt.

Ein rationales Verhältnis zu den weltpolitischen Fragen anstelle eines ideologischen und von Rancune erfüllten Nationalismus ist wohl die wesentliche Voraussetzung fürs Bessere. Damit eng zusammen hängt in der gegenwärtigen Periode das Wiedererwachen des Anti-Intellektualismus. Man kann ihm heute auf Schritt und Tritt begegnen, keineswegs nur bei Rechtsradikalen, sondern bis tief in die Manifestationen eines sogenannten maßvollen Konservatismus hinein.

Man sollte nicht vor anti-intellektuellen Argumenten zurückweichen, ihnen irgend etwas vorgeben, sondern in ihrem Angesicht zu militanter Aufklärung sich stellen, das heißt, sagen, daß in einer Gesamtverfassung der Menschheit und auch der deutschen Nation, in der das Bewußtsein der Menschen nicht länger mehr gefessselt und durch alle möglichen Beeinflußungsmechanismen verstümmelt wird, intellektuell zu sein nicht länger ein beneidetes und darum diffamiertes Privileg wäre, sondern daß im Grunde alle Menschen das sein können und eigentlich das sein sollten, was man im allgemeinen den Intellektuellen vorbehält.“

„Auch der sogenannten positiven Stereotypenbildung wäre entgegenzuwirken, hinter der die negativen Stereotype dicht lauert. Sagt einer: „Die Juden sind alle so gescheit“, dann ist er, auch wenn er es lobend sagt, schon nahe bei „nun ja, und deshalb wollen sie uns betrügen“. Auch die Formen „Die Juden sind ein so merkwürdiges, besonderes, tiefes Volk“ ist nicht über den Weg zu trauen. Mein Freund Nevitt Sanford hat auf das antisemitische Stereotyp „Some of my best friends are Jews“ lustig geantwortet: „Some of my worst enemies are Jews“. Durch Emanhzipation von der Stereotypenbildung für die Gruppe als Ganzes wird wahrscheinlich dem Vorurteil wirksamer entgegengearbeitet, als wenn man ein negatives Vorurteil mechanisch durch ein positives ersetzt. Gerade die Kollektivurteile als solche, wie sie in Deutschland verhängnisvoll, und zwar gegen alle möglichen Gruppen verbreitet sind, sind abzubauen; keinesfalls ist ein falsches Kollektivurteil durch ein ebenso falsches anderes zu berichtigen.

Sie stehen vor dem Haus mit dem Relief mit dessen Adresse „Jordangasse 2“, Sie stehen also auf dem Judenplatz und schauen auf das Haus mit dem Relief und lesen aus „Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute“ vor, eine Stelle noch, im Nachklang zur Rede von Omri Boehm auf dem Judenplatz und den Aussagen von …

In Österreich war das ganz besonders markant: wer dort weder christlich-sozial noch Sozialdemokrat war, tendierte fast automatisch zum Deutschvölkischen und damit zum Antisemitismus. Von dieser Mentalität würde ich annehmen, daß sie auch heute weiterexistiert.

Theodor W. Adorno starb vor fünfundfünzig Jahren und vor dem vulgären Relief auf dem Judenplatz fragen Sie, ob er Thomas Bernhard zugestimmt hätte, wäre er in der Uraufführung vor sechsunddreißig Jahren gewesen, genauer, ob er Professor Schuster in seinem Urteil zugestimmt hätte: „In Österreich mußt du entweder katholisch oder nationalsozialistisch sein, alles andere wird nicht geduldet, alles andere wird vernichtet.“ Katholisch und nationalsozialistisch schließen menschgemäß antisemitisch ein.

Ob Theodor W. Adorno zu wenig über das Spezifische christlich-sozialer österreichischer Prägung wußte, oder, gegenüber christlich-sozialer österreichischer Provinienz Milde walten lassen wollte?

Vor siebenundfünfzig Jahren, fällt Ihnen an dieser Stelle ein, hat Theodor W. Adorno einen Vortrag gehalten, über „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“, in Österreich; wo sonst, sagen Sie, in Wien konnte nur und mußte Adorno diesen Vortrag halten, als in Österreich,

in diesem Land, in dem Jahrzehnte nach diesem Vortrag die medialen Staffeln der Parlamentspartei Männern gedenken, denen auf diese Art zu gedenken nur Patriotinnen von diesem identitären Schlag …

Jedenfalls, Adorno ist zuzustimmen, Antisemitinnen haben viele Ressentiments, wie nicht zuletzt ein christlichsozialer Schreiber beispielhaft …

Und der christlichsoziale Schreiber aus Österreich bringt Sie zum Nachwort zurück, zu der Stelle, an der Jan Philipp Reemtsma Hermann Bahr und Jean Paul Sartre zitiert:

Vielleicht ist dies der Ort, ein weiteres Zitat aus Sartres Überlegungen zur Judenfrage anzuführen (ebd., S 16): „Glauben sie nicht, die Antisemiten würden sich […] etwas vormachen. Sie wissen, daß ihre Reden oberflächlich und fragwürdig sind; doch darüber lachen sie, ihrem Gegner obliegt die Pflicht, die Wörter in ernster Weise zu verwenden, da er an die Macht des Wortes glaubt; sie haben das Recht zu spielen. Sie spielen sogar gern mit dem Diskurs, denn indem sie lächerliche Gründe nennen, diskreditieren sie den Ernst ihres Gesprächspartners; sie sind genußvoll unaufrichtig, denn ihnen geht es nicht darum, durch gute Argumente zu überzeugen, sondern einzuschüchtern oder irrezuleiten.

„Der Antisemitismus will nur sich selber.“ So der Schriftsteller Hermann Bahr 1894 in einem Interview. Und er fährt fort, als hätte Sartre ihn zitiert: „Wenn es keine Juden gäbe, müßten die Antisemiten sie erfinden.“

Sie wiederholen prüfend den darauf spontan gesagten Satz, ohne Zustimmung, ohne Ablehnung: Es müßten, als wenn es noch nicht genügend Antisemitinnen gebe, noch weitere Antisemiten erfunden werden.

Die Interviews die Hermann Bahr führte, vor einhundertdreißig Jahren unter dem Titel „Der Antisemitismus – Ein internationales Interview“ erschienen, wollen Sie nach dem Besuch der Wiener Staatsoper lesen, in der am 19. Mai 2024 wieder der Beckmesser singen wird, und Sie wollen in die Meistersinger, um selbst zu erleben, wenn jüdische Zuschauerinnen, ob jüdische Zuschauer wieder protestierten, wie vor einhundertvierundfünfzig Jahren in der Wiener Staatsoper gegen das sie Karikierende protestierten. Was nicht zu erfahren sein wird, wenn sie in der Wiener Staatsoper protestieren, wie viele Nationale danach in der Nachfolge der Witwe des Komponisten in ihr Tagebuch schreiben würden: „Vollständiger Sieg des Deutschen.“