Florian Wenninger schlägt vor, auf dem KL-Platz ein Denkmal gegen den antisemitischen Mob zu errichten, und dazu erinnert er an den Mob von ungefähr zweitausend Personen, die einer Rede lauschten und …
Florian Wenninger bezieht sich dabei nicht auf diese Rede vor ungefähr zweitausendfünfhundert Personen, die dreiundzwanzig Jahre nach der Mobrede, die Wenninger als Denkmal verewigt wissen möchte, gehalten wurde, im Juli 1918, in der Volkshalle des Wiener Rathauses, im Rahmen einer „christlichsozialen Kundgebung gegen die feindlichen Wühlereien in Österreich“.
Der Inhalt dieser Rede ist bekannt, am 11. Juli 1918 berichtet die „Reichspost“ ausführlich über die christlichsoziale Veranstaltung in der Volkshalle des Neuen Rathauses.
Diesen Bericht in seiner Gesamtheit wiederzugeben, einhundertdrei Jahre danach an die Rede in der Volkshalle des Wiener Rathauses zu erinnern, ist durchaus gerechtfertigt, erinnert doch diese Rede sehr an die Gegenwart, beispielsweise wie der Redner, der spätere Nationalratspräsident, mit der Wahrheit umgeht. Heutzutage würde dazu gesagt werden, der Nationalratspräsident verbreite „Fake News“. Und auch, was seit einhundertdrei Jahren sich hartnäckig hält, was heutzutage weiter Hetze genannt wird, wohin diese damalige Hetze führte, die den Nationalratspräsidenten nach dem Untergang des deutschen reiches nicht veranlaßte, seinen Antisemitismus aufzugeben. Und wie alle „Fake News“ hat auch die nationalratspräsidentische Rede Heiteres zu bieten, und das Heitere ist gerade in sogenannten Krisen, einfach wie kurz gesagt, in der damaligen wie in der heutigen notwendig und willkommen.
Massenkundgebung christlichsozialer Arbeiter
In der Volkshalle des Wiener Rathauses. Vom Christlichsozialen Arbeiterverein veranstaltet, fand heute abend in der Volkshalle des Neuen Rathauses eine von ungefähr 2500 Personen besuchte Versammlung statt, die sich zu einer eindrucksvollen Kundgebung der christlichsozialen Arbeiterschaft gegen die feindlichen Wühlereien in Oesterreich gestaltete. Nach Eröffnung der Versammlung durch GR. Preyer ergriff LA. Kunschak, begeistert begrüßt, das Wort. Er erörterte vorerst die Verkommenheit der englischen Politik, die den Krieg angezettelt und Staat um Staat in den Weltbrand hineingezogen hat,
England war es also, und nicht die Nachtigall … Auch in noch einhundert Jahren späteren Reden kann die Nachtigall ihres Freispruchs sicher sein …
und die Mittel, die England gegen Rußland angewendet habe, wolle es nun auch gegen Oesterreich ins Treffen führen: England habe, fuhr LA. Kunschak fort, mit feiner Witterung erkannt, daß es uns durch Hunger nicht werde bezwingen können. Es habe daher einen anderen Weg gesucht, um die Widerstandsfähigkeit des Volkes zu untergraben. Augenblicklich ist es am Werk, unser Volk durch Ausstreuung abscheulicher und dummer Gerüchte über das Kaiserhaus irrezuleiten. Redner griff aus der Fülle der Giftmischereien das Wort heraus, das ins Volk geschleudert wurde: „Die Kaiserin eine Italienerin.“ Das ist eine Versündigung gegen die primitivsten menschlichen Gefühle. Die Kaiserin ist ein Menschenkind wie wir und sie hat als Mutter ebensolche Pflichten gegen ihre Kinder wie jede andere Mutter und sicherlich nicht geringere als die letzte Bettlerin gegen ihr Kind! Im Gegenteil, die Pflichten der Kaiserin als Mutter gegen ihre Kinder sind größer als die jeder anderen Mutter, denn sie hat den unter ihrem Herzen getragen, der dereinst bestimmt sein soll, die Krone Oesterreichs zu tragen. Wie sollte sie da anders fühlen können als als Oesterreicherin. (Beifall.) Und sie ist eine Oesterreicherin und die beste Oesterreicherin! (Stürmischer Beifall.)
Die „Kaiserin“, für die Menschen Material waren, von der der Nationalratspräsident spricht, war für ihn eine Österreicherin, obgleich sie in Italien geboren, ihre Eltern … Eine gute Einstellung, die heutzutage gänzlich vergessen ist, wird doch in Österreich geborenen Menschen abgesprochen, Österreicher zu sein, weil deren Mütter aus einem anderen Land, abgesprochen, Österreicherinnen zu sein, weil deren Väter, weil gar deren Großeltern aus einem anderen Land vor langer, langer Zeit nach Österreich gekommen sind.
Heutzutage wäre die „Kaiserin“ aus Österreich abgeschoben worden.
Redner kam dann noch auf die letzte Ausstandsbewegung zu sprechen, die er als Ausfluß fremder Wühlarbeit bezeichnete, und fuhr dann fort: Solche Bewegung findet, wir sie heute sehen, finden freilich dort einen aufnahmefähigen Boden, wo die Stimmung der Bevölkerung entweder verbittert oder mit schwerer Sorge überlastet ist. Die beste Abwehr gegen die Wühlarbeit Englands in jeder Hinsicht wären geordnete Verhältnisse im Innern des Reiches. Diese aber haben wir nicht, am allerwenigsten auf jenem Gebiete, wo wir sie am allermeisten benötigten, auf dem der Ernährung. (Lebhafte Zustimmung.) Redner kommt, häufig von erregten Zwischenrufen und lautem Beifall unterbrochen, auf die teure und falsche Erntestatistik sowie auf einen Antrag gegen die Wildfütterung mit Heu zu sprechen und erzählt, daß weder die Herrschaft Wittgenstein noch auch die Gutsverwaltung Rothschilds in Gaming Heu abgeliefert haben, sondern damit ihre Hirsche fütterten, und daß den dadurch entstehenden Fehlbetrag die Bauern dieser Bezirke über ihre abzuliefernde Menge hinaus aufzubringen hatten. (Stürmische Pfuirufe.)
„Rothschilds“ … Die Veränderung seit damals?
Ein Name ist hinzugekommen, den der Nationalratspräsident vor einhundertdrei Jahren noch nicht kennen konnte, aber hätte er auch diesen Namen schon gekannt, es wäre ihm wohl ebenfalls eine recht besondere Geschichte zu ihm eingefallen.
Die Folge dieser Wirtschaft war natürlich, daß der Wildstand durchgehalten hat, der Rinderstand aber zugrunde gegangen ist und daß wir kein Fleisch, keine Milch und reine Butter mehr haben. Die erste Voraussetzung des Ernährungsdienstes, das Vertrauen der Erzeuger und Verbraucher ist geschwunden. Der Erzeuger kann kein Vertrauen mehr haben. Der niederösterreichische Bauer hat in diesem Jahre Gewaltiges geleistet, er hat über die vorgeschriebene Menge hinaus geliefert, er hat allein ein Viertel des ganzen österreichischen Getreides abgegeben. (Hört! Hört!)
Der nationalratspräsidentische Redner beklagt, „daß wir kein Fleisch, keine Milch und reine Butter mehr haben“, und was ist mit den Kartoffeln, die er Menschen ein anderes Mal zu essen empfahl, wenn sie kein Fleisch …
Und als die Regierung vor Wochen auch noch die Vorräte der Selbstversorger in Anspruch nahm, waren in wenigen Tagen 900 Waggons Getreide aufgebracht. Zurückbekommen haben sie aber von dem Geliehenen nichts und heute verweigern vielfach die landwirtschaftlichen Arbeiter die Arbeit, weil ihnen der Bauer nicht mehr genug zu essen geben kann. Ebensowenig Vertrauen können die Verbraucher haben, denen man im Herbst die schönsten Versprechungen gemacht und die man im Sommer verhungern läßt. Durch diese Handlungen hat unser Ernährungsamt gewiß unbewußt, aber nichtsdestoweniger in ausgiebigster Weise Hilfsdienste für die angeblichen Wühlereien geleistet. (Stürmischer Beif.)

Ein weiterer Helfershelfer ist das Judentum. (Lebhafte Zustimmung.) Ein jüdischer Journalist hat selbst vor 14 Tagen in einer jüdischen Zeitung das Wort vom Juden als dem gebornen Frondeur geprägt. Und im Laufe der Ausstandsbewegungen ist von der „Arbeiter-Zeitung“ gesagt worden, daß sich in den Versammlungen sehr viele junge Leute, Jünglinge aus dem Osten, recht unliebsam und frech bemerkbar machten. Was die „Arbeiter-Zeitung“ damit gemeint hat, ist klar. „Juden“ durfte sie nicht schreiben, so hieß es „Jünglinge aus dem Osten“. (Heiterkeit.) Wenn aber die „Arbeiter-Zeitung“ selbst das feststellt, können wir uns vorstellen, was diese Juden alles getrieben haben müssen.
Welchen „jüdischen Journalisten“ der Nationalratspräsident meinte, werden von den um die zweitausendfünfhundert Anwesenden in der Volkshalle wohl recht viele auf Anhieb gewußt haben – Anton Kuh, der 1938 Österreich verlassen mußte, 1941 in New York starb.
Redner führt sodann einige Beispiele für die wohlwollende Nachsicht an, deren sich diese Elemente zu erfreuen haben. Die Verordnung der Statthalterei, die Wucherer und Schleichhändler öffentlich durch Anschlag zu brandmarken, ist nicht lange gehandhabt worden. Denn man las fast nur Namen wie Weichselblüh, Silberbaum usw. Selten ist noch je ein Statthaltereierlaß so klanglos verschwunden wie dieser. Auch hier haben sich die Juden als Frondeure gegen die Lebensmöglichkeit der arbeitenden Bevölkerung erwiesen. Wie es zahme Löwen gibt, gibt es zweifellos auch anständige Juden, aber der zahme Löwe spricht nicht gegen den Satz, daß der Löwe ein Raubtier ist. Während die christlichen Wucherer meist erwischt und dann sicher auch eingesperrt werden, entschlüpfen die jüdischen meist der irdischen Gerechtigkeit. Bei der Erinnerung an den Kranz-Prozeß und an den Fall Leinweber, der als Bestochener bestraft wurde, während die jüdischen Bestecher noch heute ungeschoren herumlaufen, bricht die ganze Versammlung in erregte Entrüstungsrufe aus, die eine Zeitlang jedes Wort unverständlich machen.

Der Redner erwähnt sodann die einzig dastehende Bevorzugung der jüdischen „Rohö“, welche die zwei eierreichsten Bezirke Polens zugewiesen erhielt und über so viel Eier verfügt, daß sie viele dem Verderben überantworten kann. Auf dem Rudolfsheimer Markt standen drei Kisten Eier, die der „Rohö“ übrig geblieben waren, und als diese geöffnet wurden, krochen Hunderttausende von Maden herum und die wenigen noch nicht verfaulten Eier verbreiteten einen solchen Gestank, daß sie auch für den menschlichen Genuß als ungeeignet bezeichnet werden mußten. Trotz allem hat Oesterreichs Volk gegen all die Not standgehalten mit einer Geduld, die nur dem festen, tiefeingewurzelten Patriotismus entspringen kann. Dieses Bewußtsein verleiht uns die Zuversicht, das alte Wort mit Stolz und Ueberzeugung auszusprechen: Oesterreich wird ewig steh‘n! Ein Oesterreich, das solche Lasten trägt, das einen solchen Druck erträgt, dessen Bevölkerung nicht zusammenbricht unter der Fülle der Opfer, die ihr auferlegt werden, sondern in ihrem Glauben an diesem Staate festhält, dieses Oesterreich ist nicht umzubringen, trotz aller Wühlereien Englands, trotz aller unbewußten und bewußten Helfershelfer im eigenen Lande! (Minutenlanger Beifall und nicht endenwollende „Hoch Kunschak!“-Rufe folgten den Ausführungen des Redners.)
„Rohö“: Abkürzung für Reichsorganisation der Hausfrauen Österreichs, gegründet 1910, aufgelöst 1938. Eine der Gründerinnen war Fanny Freund-Markus, gestorben 1942, KL Theresienstadt.
GR. Preyer schloß hierauf die Versammlung mit einem dreimaligen Hoch auf das Kaiserpaar, in das die Versammelten begeistert einstimmten. Nach der Absingung der Volkshymne entfernten sich die Massen in größter Ruhe.

Siebenundzwanzig Jahre später wurde dieser Redner für acht Jahre Nationalratspräsident, und als ein Nationalratspräsident in der Zeit ab 1945, als die ganze Welt umfassend vom Holocaust erfuhr, bekennt sich dieser Redner dazu, immer Antisemit gewesen zu sein und Antisemit bleibe. Und wo sagt das dieser Redner, der sich als Redner treu blieb? Auf einer
Kundgebung, die als Protest gegen die Einreise polnischer Juden organisiert worden war, gemeint, daß er immer Antisemit gewesen sei und es auch weiterhin bleibe. Unter dem Beifall Tausender Demonstranten fügte er hinzu, daß weder einheimische noch fremde Juden in Österreich etwas zu suchen hätten.
Der damalige Bundeskanzler Leopold Figl versuchte die Irritation, die diese Äußerung im Ausland hervorgerufen hatte, zu besänftigen, indem er meinte, daß Kunschak kein Antisemit aus rassischen, sondern lediglich aus ökonomischen Gründen sei.
[Evelyn Adunka, Antisemitismus in der Zweiten Republik. Ein Überblick anhand einiger ausgewählter Beispiele, in: Heinz P. Wassermann (Hg.), Antisemitismus in Österreich nach 1945 (= Schriften des Centrums für Jüdische Studien 3), Innsbruck 2002, 12-65, hier 13.]
Es scheint in Österreich bequemer und förderlicher zu sein, bei der möglichen Umgestaltung des KL-Denkmals auf dem KL-Platz ganz beim Karl Lueger zu bleiben, beim Mob im 19. Jahrhundert zu bleiben, bei einem Karl Lueger, der 1910 in Wien verstarb, um es, vielleicht auch dafür zu nutzen, Karl Lueger, hätte er nur lange genug gelebt, stellvertretend für Österreich eine Lernfähigkeit zu bescheinigen, könnte mit einer kleinen Spekulation gesagt werden, aus der Geschichte gelernt zu haben, er hätte wohl seinen Rassismus im allgemeinen und seinen Antisemitismus im besonderen be…

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