Kiel ist nicht Wien

Weiterfahrt nach dem erzwungenen Kurzaufenthalt von etwa acht Minuten in Villach nach Deutschland, aber ohne Anfahrt von Erfurt, dafür drei Tage Lübeck, und dann schließlich Kiel …

Am Denkmal im „Hiroshimapark“ ist in diesem Sommer 2025 zu erkennen, daß Kiel nicht Wien ist, oder, daß Wien erst Kiel werden könnte, wenn es denn in Wien ein „zentrales Denkmal zur Erinnerung an die im Nationalsozialismus verfolgten und ermordeten Roma und Sinti“ geben wird … eine „Standortsuche“ soll es, war im Frühjahr 2025 gesagt worden, bereits geben, am 8. April 2025 sagt Emmerich Gärtner-Horvath im österreichischen Parlament: „Die Errichtung einer nationalen Gedenkstätte für die ermordeten Roma und Sinti in Wien wird gemeinsam in Abstimmung des Nationalfonds und des Volksgruppenbeirates der Roma vorangetrieben.“ Es wird in Wien also noch dauern, bis es eine solche geben wird — in einem Jahr? zwei Jahren? drei Jahren? acht Jahren? n-Jahren?

In Kiel, und Kiel ist dafür nur ein Beispiel, gibt es einen zentralen Gedenkort bereits seit 1997 — Was in Wien schneller geht, wenngleich es hierbei zu einer Verzögerung kommt, denn es wird nicht schon 2024, sondern erst 2026 geschehen: Das Säubern und Herausputzen eines schöpferischen Nationalsozialisten, nämlich des Erschaffers des Denkmals am Platz des KL, mit dem er sich nebst dem Bürgermeister selbst als Person ein Denkmal …

Was Wien nicht und was Kiel bereits seit achtundzwanzig Jahren hat, ist nicht nur eine zentrale Gedenkstätte, sondern auch einen gänzlich anderen sprachlichen Umgang als der in Österreich nach wie vor gebräuchliche.

Hierfür im Vergleich Lackenbach mit Kiel.

In Kiel, auf dem Gedenkstein:

Zum Gedenken an die Sinti und Roma aus Schleswig-Holstein, die dem Völkermord der Nazis zum Opfer fielen

In Kiel, die Informationstafel zum Gedenkstein:

16. Mai 1940:
Beginn des Völkermordes an den Sinti und Roma durch die sogenannten „Mai-Deportationen“.
Die meisten der rund 2.500 schleswig-holsteinischen Sinti und Roma haben die Deportation in das besetzte Polen, die Vernichtungslager und Ghettos nicht überlebt.
Bis 1945 ermordeten die Nationalsozialisten in ganz Europa etwa eine halbe Million Sinti und Roma – Frauen, Männer und Kinder.

In Kiel wurde es geschafft, ohne das Wort „Zigeuner“ zu erinnern, in Lackenbach hingegen, wie in diesem August 2025 photographisch festgehalten, nach wie vor die Tafel:

SIE MUSSTEN LEIDEN UND STERBEN NUR WEIL SIE ANDERS WAREN
HIER STAND IN DER ZEIT VON von 1940 – 1945
DAS VON DEN NATIONALSOZIALISTEN ERRICHTETE „ZIGEUNERLAGER“

HIER STARBEN HUNDERTE UNTER QUALEN UND ENTBEHRUNGEN
VON HIER AUS WURDEN EINIGE TAUSEND „ZIGEUNER“IN IN VERNICHTUNGSLAGER DEPORTIERT
GEWIDMET VON DEM LAND BURGENLAND

Es wurde um eine Informationstafel ergänzt, und auch auf dieser in Anwesenheit der grünen Justizministerin enthüllten Informationstafel in 2021 unausweichlich „Zigeunerlager“ und auf der Website der Marktgemeinde Lackenbach hierzu, gelesen am 28. August 2025, über den „QR-Code“ auf der Informationstafel aufgerufen, nach wie vor unausweichlich und gebräuchlich in diesem Land: „Zigeuner“

Wie klug es in Kiel gehandhabt wird, also „Zigeuner“ in keiner Weise zu verwenden, weder auf dem Gedenkstein noch auf der Website, ist leicht verstehbar mit einem kurzen Blick auf die Geschichte von „Zigeunerlager“.

In dem Schnellbrief, den Reichsführer-SS Heinrich Himmler (1900–1945) am 29. Januar 1943 zur Deportation von Sinti:ze und Rom:nja „in ein Konzentrationslager“ versandte, hieß es u.a.: „Die Einweisung erfolgt […] familienweise in das Konzentrationslager (Zigeunerlager) Auschwitz.“4 Die Verwendung des Begriffs ‚Zigeunerlager‘ dürfte kein Zufall gewesen sein, suggeriert er doch eine Fortsetzung der bis dahin praktizierten und gesellschaftlich weithin akzeptierten Isolationspolitik und, vor dem Hintergrund der Geschichte des Begriffs, eine vermeintliche Normalität.

‚Zigeunerlager‘ wird seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts im Deutschen, aber auch in anderen europäischen Sprachen mit verschiedenen semantischen Bedeutungen verwendet. Ursprünglich bezeichnete der Begriff einen Ort, an dem sich ‚Zigeuner‘ aufhielten, wenn sie auf Durchreise waren, oder einen Platz, auf dem sich ‚Zigeuner‘ mit ihren Wohnwagen niederließen. Seine erste Konjunktur erfuhr der Begriff in der Zeit der Romantik. In der Malerei waren ‚Zigeunerlager‘ beliebte Motive: Wagen, Pferde und Menschen wurden in der freien Natur, oft an Waldrändern oder in Waldlichtungen, situiert. Typische Beispiele sind etwa „Gypsy Camp“ aus dem Jahr 1807 des bedeutenden britischen Malers William Turner (1775–1851) oder das 1873 entstandene Gemälde „Zigeunerlager“ des in Europa weithin bekannten Ungarn Mihály von Munkácsy (1844–1900). Popularisiert wurde das Genre durch Postkarten, die seit Ende des 19. Jahrhunderts eine rasante Verbreitung erfuhren.
Das Motiv des ‚Zigeunerlagers‘ symbolisierte die Sehnsucht nach Natur, Freiheit und Abenteuer und die Abkehr von der bürgerlichen Gesellschaft und ihren Zwängen. Das ‚Zigeunerlager‘ wurde zu einem Ort außerhalb der Gesellschaft, womit zugleich diejenigen, die an derartigen Un-Orten lebten, als nicht dazugehörend, als Fremde und Heimatlose, markiert wurden. Auch in Literatur und Publizistik waren ‚Zigeunerlager‘ beliebte Motive, die immer wieder zur Kontrastierung von Zivilisiertheit versus Wildheit dienten.1
Neben romantisierende und verklärende Bilder traten bald abwertende Zuschreibungen
hinzu. Armut und Elend wurden mit dem Motiv des ‚Zigeunerlagers‘ verbunden, wie etwa bei Theodor Fontane (1819–1898): „Es war das Armenviertel … eine Art stabil gewordenes Zigeunerlager“ (1905).2 Das ‚Zigeunerlager‘ symbolisierte zudem eine Ansammlung  entindividualisierter und nicht kontrollierbarer Menschen. So heißt es in dem 1918 erschienenen Buch „Opfergang“ (S. 36) von Fritz von Unruh (1885–1970): „Wie in einem Zigeunerlager wimmelten Menschen und Tiere durcheinander.“ Das „Wörterbuch der deutschen Sprache – der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute“ gibt als gebräuchliche übertragene Bedeutung von ‚Zigeunerlager‘ die Bezeichnung für einen „Platz“ an, „der Menschen (vorübergehend) als Wohnstätte, Übernachtungsplatz o. Ä. dient und den Eindruck äußerer Unordnung bietet“.3

Auf der Website der Landesregierung Schleswig-Holstein zum „85. Jahrestag der Deportation von Sinti und Roma“ zu lesen: nicht einmal „Zigeuner“, dafür aber „Antiziganismus“. Und wenn „Zigeuner“ doch einmal auf dieser Website vorkommt, gelesen auch am 28. August 2025, dann nur in der Art:

… Immer wieder in der Geschichte waren Sinti und Roma Diskriminierungen ausgesetzt. Als „Zigeuner“ beschimpft, wurden sie aus ihren Berufen verdrängt und aus Städten oder Regionen vertrieben. Während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erlebten Sinti und Roma in ganz Europa systematische Verfolgung und Völkermord mit dem Ziel der totalen Vernichtung. …

„Als ‚Zigeuner‘ beschimpft“ … Hingegen in Lackenbach, also in Österreich bedenkenlose Verwendung von „Zigeuner“, bedenkenlose Verwendung von „Zigeunerlager“ … Die Festschreibung auf dem Mahnmal, daß sie „leiden und sterben mussten weil sie anders waren“, die Festschreibung auf dem Mahnmal „Zigeunerlager“ und „Zigeuner“, weist es als Mahnmal für den herrschenden Antiziganismus aus.

Und es kann in Österreich schon auch vorkommen, daß es zu viel Mühe macht, Anführungszeichen zu setzen, „Zigeunerlager“ und „Zigeuner“ wenigstens in Anführungszeichen zu setzen, in Salzburg

Und es ist für sie mit Verfolgung bis hin zur Ermordung in Europa nicht vorbei —

seit Jahrhunderten, wofür u. v. a. m. auch Martin Luther seinen biblisch weltlichen Beitrag von ausgesuchter Geistlichkeit

Es kann nur wiederholt werden, sie mußten nicht sterben, weil sie „anders waren“, sie wurden und werden verfolgt, sie wurden und werden ermordet, weil sie waren und sind. Hierzu kann nur einmal noch aus den „Kommentaren zur deutschen Rassengesetzgebung“ von Globke und Stuckart zitiert werden:

»Artfremdes Blut ist alles Blut, das nicht deutsches Blut noch dem deutschen Blut verwandt ist. Artfremden Blutes sind in Europa regelmäßig nur die Juden und Zigeuner.«

Und die „Denkschrift zur Lösung der Zigeunerfrage“ verfaßt in diesem Bundesland, in dem Lackenbach

Und vor dreißig Jahren wurden wieder vier Menschen in diesem Land ermordet, und wieder nicht, weil sie „anders waren“, sondern einfach deshalb, weil sie waren.

Ihr Mörder, kurz wie einfach gesagt, beseelt davon wie die Nationalsozialistischen das Land „zigeunerfrei“ zu morden …

Am 15. November 2025 wird es wieder eine Gedenkveranstaltung bei diesem antiziganistischen Mahnmal in Lackenbach geben, und was wird dann über diese „Initiative der „Geschichtsvergessenheit“ auf der Website der burgenländischen Landesregierung zu lesen geben, wieder wie in den letzten Jahren so gänzlich anders als in Schleswig-Holstein? Über die im letzten Jahr ist am 28. August 2025 auf der Website des Portschylands zu lesen, mit folgendem Beginn:

LR Dorner: Gedenkfeier für Roma und Sinti in Lackenbach wichtige Initiative gegen Geschichtsvergessenheit

„Permanentes Erinnern an dunkelstes Kapitel unserer Geschichte unerlässlich“ – Dorner fordert konsequentes und geeintes Vorgehen gegen Antisemitismus in Europa

[…] „Zigeunerlagers“ […]

„Wir sind fast 90 Jahre nach Ende des zweiten Weltkriegs und der Bezwingung des Nazi-Regimes damit konfrontiert, dass jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger aus antisemitischen und rassistischen Motiven auf offener Straße attackiert werden und Opfer brutaler Gewaltakte werden, wie letzte Woche in Amsterdam. Diese Auswüchse sind aufs Schärfste zu verurteilen – und dagegen und gegen Antisemitismus in jeglicher Form muss in Europa konsequent, rigoros und geeint vorgegangen werden“, betonte Dorner.

„Antiziganismus“, ein Wort, das nicht einmal vorkommt. Und über die Veranstaltung ein Jahr davor ist auf der Website der Landesregierung des Portschylands zu lesen, nach wie vor abrufbar, wie eben am 28. August 2025:

Das Erinnern an die nationalsozialistischen Gräuel darf nie enden, um eine Wiederholung der Geschichte zu verhindern. “, betont Landeshauptmann Hans Peter Doskozil.
Das Anhaltelager in Lackenbach, ein zweckentfremdeter ehemaliger Gutshof der Esterhazy, war das größte nationalsozialistische Zigeunerlager der NS-Zeit auf österreichischem Boden. Es diente zur Ausgliederung der „biologischen Volksschädlinge“. Zudem hatte das Lager in Lackenbach auch die Funktion eines Durchganglagers für österreichische Roma und Sinti, sprich es diente als Lager für all jene Zigeuner, die vor ihrer Deportation in andere Konzentrations- und Vernichtungslager hier zusammengezogen wurden.

„Zigeunerlager“ wird nicht einmal in Anführungszeichen gesetzt, und auch „Zigeuner“ wird nicht einmal in Anführungszeichen gesetzt, daß die „biologischen Volksschädlinge“ unter Anführungszeichen gesetzt wurde, das, könnte gesagt werden, immerhin, aber es läßt auch eine andere Deutung zu, mit der Frage, ob denn tatsächlich bloß bedenkenlos agiert, geschrieben, gesprochen wird.

„Wie über Zigeuner geschrieben wird – einst und jetzt“, heißt ein Kapitel, das hierzu unweigerlich einfällt, in diesem auch zu lesen ist, wie „Zigeunerlager“ 1939 und wie „Zigeunerlager“ 2016 …

So viele bereits dazu geschriebene Kapitel fallen jetzt wieder ein, wird an Kiel und an das lackenbacherische Wien gedacht, die für sich einen Roman im Roman …

Es wäre bis zum 15. November 2025 noch genügend Zeit, wenigstens das sofort zu tun, in einem ersten Schritt die Tafel in Lackenbach zu ändern, um dieses Zwangslager als das zu benennen, was es tatsächlich war.

Zum Gedenken an Sintizze, Roma, Sinti und Romnja.
Sie mußten leiden und sterben, nur weil sie waren.
Hier stand in der Zeit von 1940-1945 das von dem nationalsozialistischen totalitären Verbrechensregime errichtete Konzentrationslager (Zwangsarbeitslager). In diesem starben Hunderte unter Qualen und Entbehrungen. Von hier aus wurden Tausende in die Vernichtungslager zur Ermordung im Völkermord des nationalsozialistischen Massenmordregimes deportiert.

Gewidmet von dem Land Burgenland