„Innere Propaganda“

Gerade die Wiener Arbeiterführer Leopold Kunschak, der Chefredakteur der Reichspost, Friedrich Funder und der Wiener Finanzreferent Viktor Kienböck traten entschieden für die Monarchie ein. Diese Unterstützung trieb auf Seiten des CSP mit Herannahen des Kriegsendes immer dubiosere und radikalere Blüten. So fand am 2. Juli 1918 im Wiener Rathaus eine „vaterländische Massenkundgebung“ statt über die in der Reichspost ausführlich berichtet wurde. Demnach waren der Festsaal und der Arkadenhof „Schauplatz einer gewaltigen, machtvollen Kundgebung des christlichen Wien, die ein begeistertes Treuebekenntnis aller Schichten der Bevölkerung zu unserem Herrscherhause darstellte.“ 92 Ignaz Seipel und der Wiener Kardinal Pfiffl wohnten dieser Propagandaveranstaltung bei. Es gab zwei Festredner. Der eine war Leopold Kunschak, der andere Friedrich Funder. Beide übertrafen sich dabei in Lobhuldigungen für den Kaiser und seine Kaiserin. „Das gemeinsame Vertrauen zur Dynastie ist es, das die Völker der Habsburgermonarchie einigt. Wer die Krone schützt, der schützt Österreich, wer die Krone anrührt, der rührt Österreich an, wer Liebe und Vertrauen zur Dynastie in Österreich zerstören könnte, der würde Österreich zerstören,“ meinte etwa Funder. Und Kunschak erklärte: „Und doch will ich sagen, was unser Leitspruch in dieser trostlosen Zeit sein soll: Kopf hoch und ruhig Blut! Unsere Liebe zum Kaiser und zur Landesmutter darf nicht ins Wanken kommen!“93 In der Entschließung die an diesem Tag beschlossen wurde stand geschrieben: „Das unter Führung des Volksbundes versammelte christliche Volk von Wien bittet ihre Majestäten, die Gefühle unwandelbarer Treue und Ergebenheit … zu Füßen legen zu dürfen …“94

So beschreibt es Dr. Markus Benesch in seiner Dissertation, aus der bereits im Zusammenhang mit der Frage, was ist seit dem die Veränderung, zitiert wurde.

Die Frage, was ist seit dem die Veränderung, bleibt offen. Was jedoch gesagt werden kann, ist, wandelbar aber ist die christlichsoziale Partei – innerhalb von wenigen Wochen von einer Propagandistin der Monarchie zur —

Am 2. Juli 1918 in einer „vaterländischen Massenkundgebung“ der unbedingte Schwur zur habsburgischen Familie, also noch wenige Wochen vor dem absoluten Ende der Monarchie in Österreich, die christlichsoziale totale Gleichsetzung, Österreich ist die habsburgische Familie und die habsburgische Familie ist Österreich, die Liebeserklärung an die „Landesmutter“, also an die Habsburgische, für die Menschen nichts anderes sind als „Menschenmaterial“

Markus Benesch verweist auf den ausführlichen Bericht in der „Reichspost“, deren Bericht über eine ebenfalls im Wiener Rathaus abgehaltene Massenkundgebung im Juli 1918 bereits zitiert wurde, bei der auch wieder der spätere Nationalratspräsident dabei war, eine Massenkundgebung der Hetze, des Antisemitismus, der Halbwahrheiten.

Und auch die wenige Tage zuvor abgehaltene „vaterländische Massenkundgebung“ wieder eine, die nicht ohne Antisemitismus auskommt. Diesen Bericht der „Reichspost“, deren Chefredakteur ebenfalls Redner auf dieser Massenkundgebung war, zur Gänze zu zitieren, erscheint notwendig, um vermitteln zu können, was für eine christlichsoziale Propaganda noch wenige Wochen vor dem Ende eines massenmörderischen Krieges von ’14 bis ’18, ausgelöst durch die Einbildung einer einzigen Familie, Blutrache begehen zu müssen, betrieben wurde.

Unverändert seit damals das Wissen um den Wert der „inneren Propaganda“, die damals wie heute, einfach wie kurz gesagt, immer eine Unterstellung, ein Vorwurf an die Anderen, und wird doch stets nur selbst massiv betrieben, wofür keine Kosten gleicher welcher Art gescheut werden, wie der erst vor wenigen Monaten von der derzeitigen Regierung in Österreich für sich selbst erhöhte Werbeetat.

Koste es, was es wolle – Steuergeld.

Eine vaterländische Massenkundgebung in Wien
Eine Doppelversammlung des Volksbundes im Wiener Rathause
Gegen die feindlichen Ausstreuungen und Giftmischereien.

Die weiten Räume der Wiener Volkshalle und des Arkadenhofes im Rathause waren heute abend der Schauplatz einer gewaltigen, machtvollen Kundgebung  des christlichen Wien, die ein begeistertes Treuebekenntnis aller Schichten der Bevölkerung zu unserem Herrscherhause darstellte und eine entschiedene Abweisung aller versteckten und offenen Ausstreuungen war, die in der letzten Zeit täglich die Bevölkerung zu beunruhigen suchten. Es nahmen an der Versammlung mindestens 6000 Menschen teil; schon lange vor Versammlungsbeginn war die Halle mit Menschen erfüllt, so dicht, daß die Redner kaum noch das Podium erreichen konnten. Es mußte eine zweite Versammlung gleichzeitig im Hofe improvisiert werden, an der mehrere tausend Menschen teilnahmen, die in der Volkshalle nicht Platz gefunden hatten.

Der Versammlung wohnte auch Kardinal-Fürsterzbischof Dr. Piffl bei. Univ.-Prof. Dr. Seipel eröffnete die Versammlung im Saale mit einer herzlichen Begrüßung der imposanten Volksmenge und erteilte sodann dem ersten Redner das Wort.

Chefredakteur Dr. Funder:

In diesem Weltkriege war Oesterreich-Ungarn militärisch und politisch vor die schwierigste Aufgabe unter allen Staaten gestellt. Im Osten hatte sich ein mächtiger slavischer Gegner erhoben, im Westen, Süden und Südosten im Bunde mit den Angelsachsen das Romanentum und es vereinigten sich mit England und Frankreich zur Zerstörung Oesterreichs Rußland im Namen der Slaven, Italien und Rumänien im Namen der Romanen. Während alle anderen Staaten als national geschlossene Einheiten für ein nationales Ideal in den Krieg zogen, schien es Oesterreichs Rolle zu sein, gegen das nationale Ideal aussichtlos kämpfen und dabei unterliegen zu müssen. Von Krakau bis Czernowitz, von Czernowitz bis zum Noten-Turm-Paß und zum Eisernen Tor, vom Eisernen Tor bis zur Drina und bis hinab nach Spizza, vom äußersten Süden Dalmatiens bis hinauf nach Görz und Gradiska und hinüber bis zum Gardasee rannte der Gegner mit dem Schlagwort der „nationalen Befreiung“ an und suchte damit alle diese Grenzgebiete in Brand zu stecken.

Heute wissen die Gegner, daß die Mittelmächte militärisch unbesiegbar sind (Beifall) und daß selbst der Anschlag, mit dem sie die Monarchie zu zerrütten gedachten, die Revolutionierung  der Nationalitäten, in dem erwarteten Haupterfolge fehlgegangen ist. Es hat Schurken und Judasse und viele von ihnen Verführte gegeben und gibt sie noch (Rufe: Leider!), aber das Herz Oesterreichs ist treu und rein geblieben (großer Beifall), das haben die Heldenregimenter der verschiedensten Nationen Oesterreichs auf hundert Schlachtfeldern bewiesen.

Als ich vor zehn Tagen unsere Linien an der Front bei Asiago entlang ging, sagte mir ein ungarischer Kommandant einer Sturmtruppe: „Ich bin Magyare, ein Szekler, und habe früher zeitlebens die Rumänen als unverläßliche Bürger gehaßt und verachtet, aber ich bekenne, ich war im Irrtum, und heute salutiere ich voll Ehrfurcht vor dem letzten meiner rumänischen Soldaten.  Das sind Kerle von Gold und Eisen!“ (Beifall.) Die Leute da draußen, die täglich dem Tode ins Auge sehen, sind nicht freigebig mit solchen Worten, denn sie wissen, was Treue und Verläßlichkeit heißt, so wie sie die Untreue hassen gelernt haben. Und wer in der zehnten Isonzoschlacht mitten im feindlichen Massenfeuer, in einer Hölle von Feuer und Rauch, tschechische Regimenter unerschütterlich vorgehen sah, freilich unter der Führung von Offizieren, die nicht von dem Geiste gewisser staatlicher tschechischer Mittel- und Hochschulen angefressen waren (Sehr richtig!), der weiß, daß auch in der Nation, auf die sich die feindliche Verführungskunst konzentriert, die Treue, Gott sei Dank, nicht in der Wurzel ausgerottet ist. Das soll im deutschen Wien von einem, der stolz ist, ein Deutscher zu sein, einmal gesagt sein! (Beifall) Die Berechnung der Feinde ist mißlungen. Richard v. Kralik sagt von Oesterreich, ihm liege das Geheimnisvolle alles ursprünglichen Lebens zugrunde, „es ist unzerstörbar wie jeder wahre Gedanke, es erhält sich durch seine echte, aus den Urgründen des Seins quellende Lebenskraft‘, weil es durch innere Naturnotwendigkeit geworden ist. Und der alte österreichische Publizist Sporschil sagt dies in einer 1847 erschienenen Schrift mit den Worten: „Oesterreich sei keineswegs ein Erzeugnis von tausend glücklichen Zufälligkeiten, sondern eine Schöpfung der Hand Gottes, welche die Weisheit seiner Regenten seit Jahrhunderten wunderbar unterstützt hat.“ Diese uralten Zusammenhänge fanden immer ihren stärksten Ausdruck und ihre Kraft in dem innigen vertrauensvollen Zusammenhange des Volkes mit der alten Dynastie. (Lebhaftes Zustimmung). Dann war Oesterreich immer am ’stärksten und, glorreichsten — unter Kaiser Leopold, Maria Theresia und Kaiser Franz — wenn die Zusammenhänge des Volkes mit der Dynastie am lebendigsten waren, und dann war es am schwächsten, wenn — wie in der Zeit der Erbteilungen — diese geistige Einheit gewichen schien. Die Monarchie gleicht einem kunstvollen Schrank, wie ihn die Meister des Gewerbes vergangener Jahrhunderte erfanden, mit zahllosen Lädchen, alle mir zu öffnen durch eine geheimnisvolle Feder. Drückt man an diese, so springen alle Läden auf und bieten ihren kostbaren Inhalt dar. Wer das Geheimnis dieser Feder nicht kennt, dem bleibt der Schrank verschlossen. Das gemeinsame Vertrauen zur Dynastie ist es, das den Inhalt der zahlreichen Läden und Lädchen der Habsburger Monarchie öffnet, und niemals hat diese Feder noch einem Habsburgischen Kaiser den Dienst versagt. (Beifall.) So haben wir auch in diesen Tagen, die so voll heftiger Kämpfe sind, wieder die Führer der noch so weitgetrennten Parteien ihren Weg zum Kaiser finden sehen, die Deutschen ebenso wie die Polen und Ukrainer. Tschechen und Slovenen, und selbst die Führer der Sozialdemokratie zollten der Krone den Tribut der Anerkennung ihrer unentbehrlichen Stellung in diesem Völkerstaate. Deshalb: Wer die Krone schützt, der schützt Oesterreich, wer die Krone anrührt, der rührt  Oesterreich an, wer Liebe und Vertrauen zur Krone und Dynastie in Oesterreich zerstören könnte, der würde Oesterreich zerstören» (Stürmische Zustimmung.)

Darauf aber kommt es jetzt den Feinden an, nachdem alle ihre anderen Angriffsmittel versagt haben! Man schreibt mit Recht oder Anrecht dem ertrunkenen englischen Generalissimus Lord Kitschner die Äußerung zu, Hand in Hand mit der militärischen Bekämpfung müsse die moralische Zermürbung des Gegners gehen: während man ihn an den äußeren Fronten mit den Waffen bekriege, müße man ihn an seiner inneren Front zu packen suchen durch die Organisation des Meldedienstes, durch Spionage, Ausnützung seiner inneren politischen Schwächen, durch Verbreitung falscher Nachrichten und durch Erschütterungen seines Selbstvertrauens. Man muß gestehen, England hat dieses Programm großartig und ohne mit seinen Mitteln sparsam zu sein, in die Tat umzusetzen versucht. Wir wissen, wie es ihm gelungen ist, Länder gegen den Willen der Mehrheit des Volkes in den Krieg hineinzuziehen, Portugal, Rumänien, Griechenland. Wir wissen auch, daß Lord Northcliffe mit der sogenannten inneren Propaganda in den feindlichen Ländern betraut worden ist und ihm dafür die Millionen des englischen Riesenschatzes zur Verfügung stehen, und wir kennen auch die britische Zähigkeit in der Ausführung ihrer Kriegspläne. Je mehr sich unsere Feinde überzeugten, daß sie Oesterreich-Ungarn militärisch nicht niederzuwerfen imstande seien, desto mehr lag es für sie nahe, ihre Hoffnungen auf diese ihre „innere Propaganda“ zu richten!