Menschen, die einen Roman lesen, fragen oft schon beim ersten Auftreten einer Figur, was wird wohl aus dieser werden.
Sie lesen im Roman weiter, oft nur, um zu erfahren, wie es mit dieser einen sie interessierenden Figur in der Geschichte weitergeht.
Aber mit manchen Figuren geht es, einfach wie kurz gesagt, nicht weiter.
Sie treten in einem einzigen Kapitel auf, und dann, nie wieder.
So sollen die Menschen, die wegen dieser einen einzigen sie interessierenden Figur zur weiteren Lektüre des Romans sich verleiten haben lassen und nun seit Hunderten von Kapiteln auf das neuerliche Auftreten ihrer sie einzig interessierenden Figur mit diesem Kapitel eine Entschädigung erhalten.
Diese sie einzig interessierende Figur tritt zwar in diesem Kapitel nicht mit Neuem auf.
Denn es gibt von ihr nichts mehr zu erzählen, außer, daß sie gestorben ist.
Sie ist tot, das ist, einfach wie kurz gesagt, aus ihr geworden.
Die Todesmeldung ist die Entschädigung für die Lesenden, die so lange darauf warteten, geduldig oder nicht, wieder etwas von ihrer sie einzig interessierenden Figur zu lesen.
Die Todesmeldung hätte, vielleicht, in einen schöneren Satz gebracht werden können. Es gibt Beispiele aus Romanen, die für diese genommen hätten werden können, die zu dieser Figur passend hergerichtet hätten werden können:
Die Zeitungen meldeten noch am Abend Ludwigs Tod, der eine Weltnachricht geworden war, die aber niemand erschütterte.
Oder diesen Beispielsatz, der in Österreich wohl zum Sieger gekürt werden würde:
Und noch desselben Tages empfing eine respektvoll erschütterte Welt die Nachricht von ihrem Tode.
Dabei muß eingestanden werden, nicht zu wissen, ob die Medien noch am selben Abend ihren Tod meldeten, ob die Nachricht von ihrem Tode also noch desselben Tages verbreitet wurde.
Der Tod eines Menschen ist stets eine letzte Gelegenheit, etwas nachzuholen, das verabsäumt wurde, das also zu erzählen, was noch nicht erzählt wurde, das Kapitel
Christa Ludwig spielt beim AC Richard Wagner auf der Position Kicherin
endlich zu vervollständigen, in dem diese Figur das erste Mal auftrat.
Der Tod eines Menschen ist auch die Stunde, in der über ihn nichts Schlechtes mehr gesagt werden soll, die Stunde, in der zu ihm nichts Gutes mehr gesagt werden kann. Er allein soll das Wort noch haben, und mit ihm jene, mit denen er sprach, um zu verstehen, weniger wie er war, mehr wie die Menschen sind in dem Land, in dem er lebte – in seinem Fall in Österreich …
Karl Löbl sagt, dies sei die interessanteste Diskussion in dieser Sendung seit Jahren. Es geht in dieser darum, ob der Mensch vom seinem Werk getrennt werden könne.
Christa Ludwig ist für die Trennung von Mensch und Werk. Weil für sie sei die „Musik das Wichtigste“, die Musik von Richard Wagner, die so „schön“ sei. Sie, Ludwig, sagt auch, es seien „alle in der Partei“ gewesen, sie seien aber „nicht alle Nazis“ gewesen. Gottfried Wagner weist auf die wagnerische Gesinnung in seinem Werk hin, wie er seine Gesinnung in seiner Musik verankerte. Und Karl Löbl fragt, ob er, Wagner, das „wissentlich“ getan habe, ob er, Wagner, dies mit dem „Kopf oder mit dem Bauch“ … Heinz Sichrovsky fragt, wo denn das Problem sei, wenn einer als schirch, bucklig und geldgierig von Wagner dargestellt werde, und er, Sichrovsky, sei gerne in der Wagner-Welt …
Dabei ist die zentrale Frage in dieser Diskussion, die Karl Löbl als die interessanteste in dieser Sendung seit Jahren findet, ob der Mensch von seinem Werk getrennt werden könne, ob Richard Wagner seine Gesinnung in sein Werk einarbeitete, bereits beantwortet, ehe die Diskussion darüber begann, durch Heinz Sichrovsky in derselben Sendung, in der er sich im unmittelbar davor gebrachten Beitrag zu seinem Buch interviewen läßt, wenn er sagt:
Rudyard Kipling hat in seinem gesamten Werken ununterbrochen freimaurerische Subtexte verborgen … Das Gedicht „Der Mond ist aufgegangen“ von Matthias Claudius, eines der schönsten Gedichte deutscher Sprache, später mit „Abendlied“ betitelt, ist der Anhang an einen freimaurerischen Text des Bruders Matthias Claudius in seinen sämtlichen Werken und man kann sehr genau eine Art freimaurerisches Leben rekonstruieren.
Es erzählt aber wieder einmal auch einiges über dieses von dieser Runde exemplarisch repräsentiertem Land, in dem es ganz ohne Diskussion klar ist, daß ein Mensch, der ein „Freimaurer“ ist, nicht von seinem Werk zu trennen ist, daß ein Mensch, der ein „Freimaurer“ ist, selbstverständlich in sein Werk ununterbrochen freimaurerische – also seine Gesinnung in sein Werk einbringt, während bei einem Richard Wagner, wie von dieser Heinz Sichrovsky bedienten Runde, schon zu fragen ist, ob er in sein Werk überhaupt seine Gesinnung, ob sein Werk nicht nur Musik ist, nichts als herrliche, wunderbare, schöne Musik frei von jedweder Gesinnung, jedweder Weltanschauung, sozusagen reine Musik, die Adolf Hitler etwa bis in sein Geschlecht hinein …
Seinen „Kulturauftrag“ serviert Heinz Sichrovsky gleich zu Beginn der Sendung, „den ich mir selbst schon im zarten Stehplatzalter erteilt habe, verantwortlich dafür war Richard Wagner, der mich mit bis heute ungemilderten Folgen hypnotisch überwältigt hat“, sehen auch Mannen und Frauen der identitären Parlamentspartei, die für kurz auch Regierungspartei wieder einmal war, für sich als Pflicht an, der ihnen ebenfalls ein Wagnerauftrag ist, so wie dieser für Christa Ludwig ein Auftrag ist, Wagner von seinem Werk zu trennen, ist dieser jenen von der identitären Parlamentspartei der Auftrag, zu verkünden, Wagners Zeilen seien antisemitismusfrei …
Das hinderte diesen Schriftsteller aber nicht, später sich der Gesinnungsgemeinschaft von Hitler, dem die Musik Wagners alles war, anzuschließen, das ihm auch persönliche Vorteile brachte, ihn beispielsweise davor bewahrte, dafür verurteilt zu werden, einen Hausmeister erschossen zu haben … Ihm auch über Jahrzehnte nach dem Untergang des deutschen reiches einen Nachruhm sichert, zumindest beim Sprecher des österreichischen Landesverteidigungsministeriums …
Chamberlain böte sich an, davon zu erzählen, wie damals alle miteinander bekannt waren, lange vor den madigen zwölf Jahren des deuschen reiches, im Austausch miteinander standen, eben auch Chamberlain beispielsweise mit Karl Kraus, der ihn sogar für seine „Fackel“ als Schreiber gewinnen wollte, wie die einen die anderen aber nicht davon abhalten konnten, sich der hitlerischen Gesinnung anzuschließen, wie die anderen von den einen aber nicht dazu gebracht werden konnten, sich der hitlerischen Gesinnung anzuschließen. Es sind große Namen darunter. Auch wenn es heutzutage keine großen Namen mehr sind, eines ist geblieben, sie sind alle einander bekannt, stehen im Austausch miteinander, in Österreich, so klein dieses Land ist, so klein sind auch die Namen; als Beispiele böten sich jene an, die an der fellnerischen Theke etwa …
„Hinterher“, sagt Christa Ludwig, „ja da ist gut reden, hinterher“ … Was wohl Friedelind Wagner ihr, Ludwig, geantwortet hätte, die nicht hinterher ja gut reden wollte, sondern …
Es wird nicht gewußt, welcher Spruch auf dem Grabstein von Karl Löbl steht. Wie passend es doch wäre, stünde auf seinem Grabstein: „Etwas ganz Aktuelles.“
Das sagt Karl Löbl in dieser Sendung mit dem moderierenden Kellner. Und dann erzählt er, Löbl, etwas ganz Aktuelles, von Leonard Bernstein und Helmut Wobisch, also daß Wobisch für Bernstein sein „Lieblings-Nazi“ gewesen sei.
Das löblische Aktuelle muß also zum Zeitpunkt der Sendungsausstrahlung, 14. Mai 2013, an die fünfzig Jahre her …
Es gab einen Vorstand der Wiener Philharmoniker namens Helmut Wobisch, der war SS-Mann, war trotzdem Vorstand der Philharmoniker. Über den hat Lenny Bernstein gesagt, wie ich ihn gefragt habe, wissen sie das: „Das ist in dem Orchester mein Lieblings-Nazi.“ … Ist das ein Satz, den sie verstehen und tolerieren oder eher verurteilen?
… und ein halbes Jahrhundert später noch stolz darauf, mit Leonard Bernstein ganz allein ein Geheimnis im Zusammenhang mit dem lange gewesenen Orchestergeschäftsführer zu teilen, das aber wohl ganz Wien mit Wobisch und Bernstein geteilt hat, nach weiteren Berichten über diese Aussage von Bernstein, getätigt vor einem halben Jahrhundert.
Menschen, die sterben, kommen in ein Grab mit einem Grabstein, oder in eine Gruft mit einer Platte oder in eine Urne, die dann hinter einer Tafel … Nicht selten kommt zum Namen, zum Geburtsdatum und zum Sterbedatum darunter ein Spruch noch hinzu. Was könnte, stürbe Österreich, und bekäme Österreich einen Grabstein oder eine Gruftplatte oder eine Urnentafel, für ein Spruch auf seine Tafel oder auf seinen Stein oder auf seine Platte … es gäbe keinen besseren als diesen von Karl Löbl, mit dem er etwas Aktuelles vor einem halben Jahrhundert zum ganz Aktuellen ein halbes Jahrhundert …
Österreich
Etwas ganz Aktuelles
Und stürbe Österreich, wäre eine für ihn passende Grabstätte wohl in der Gruft von Karl Lueger in der Karl-Borromäus-Kirche … noch passender wohl irgendwo draußen vor der „Lueger-Kirche“ auf dem Zentralfriedhof an der unmittelbaren Grabesseite von Leopold Kunschak mit dem gleichen Grabstein, der einst schon für Kunschak produziert …
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