Das ist Wien

Sie werden Josef Müllner, der Sie am Eingang zur Ausstellung

Auf Linie
NS-Kunstpolitik
in Wien
Die Reichskammer
der bildenden Künste

persönlich begrüßt, Sie einlädt, diese seine Ausstellung zu besuchen, nicht erkennen. Denn. Josef Müllner als Ausstellungsempfangsherr hat dafür eine recht besondere Uniform gewählt. Eine Rüstung. Mit geschlossenem Visier. Ein Namensschild trägt Josef Müllner nicht. Josef Müllner, der Wehrmann in Eisen, der Namenlose, der unbekannte Soldat

Wer wäre auch mehr dafür geeignet, Sie in die Ausstellung Auf Linie in Wien zu bitten als ein unbekannter Soldat, der hier, mitten in Wien, seine ewige Pflicht erfüllt …

Josef Müllner wird diese Aufgabe recht freuen, Sie in die Ausstellung hereinrufen zu dürfen – eine für ihn wenn auch nur für kurze Zeit wohl willkommene Abwechslung in seinem sonst drögen Wachdienst. Die Verse über seinem Kopf sind ihm als einzige Lektüre lange schon zu …

Seinen sonst drögen Wachdienst mitten in Wien wird er sich wohl mit Erinnerungen erträglicher zu gestalten wissen. Erinnerungen daran, wie er kein unbekannter Wehrmann war, sondern ein bekannter Soldat eines Frontstaats.

Josef Müllner wird an seinen Karl Lueger denken. Er wird vielleicht Überlegungen anstellen, was es wohl für Diskussionen gegeben hätte, wären die Denkmäler für Houston Stewart Chamberlain und für Georg Ritter von Schönerer auch noch in Wien errichtet worden. Wer sich für den Fortbestand der zwei Denkmäler eingesetzt hätte, ob die gottbegnadete Sängerin Arien für Chamberlain gesungen hätte …

Mit der Ausschreibung eines geladenen Wettbewerbs zur Errichtung eines Denkmals für Houston Stewart Chamberlain am 8. Februrar 1941 sollte neben Georg Ritter von Schönerer ein weiterer NS-Wegbereiter geehrt werden. Mit Houston Stewart Chamberlain (1885-1927) wollte man den „‚Seher von Bayreuth‘, den Vorkämpfer des aufrechten Rassengedankens und einer germanischen Weltanschauung würdigen“. Der englisch-deutsche Schriftsteller hatte sich von 1890 bis 1920 als antisemitischer Vordenker in der Kulturszene von Wien und Bayreuth sowie als Schwiegersohn Richard Wagners einen Namen gemacht. Für Hitler und die Nationalsozialisten war er ein Ideengeber des deutschen NS-Kulturbegriffs. Als Aufstellungsort wählte man den rückwärtigen Teil des Esterházyparks. Eine Zusammenarbeit zwischen Bildhauern und Architekten sei anzustreben. Zur üblichen Jury wurden Josef Müllner […]

Im Esterházypark hätte Chamberlain also stehen sollen, beim Flakturm, von dem ein Kunstwerk entfernt wurde, gegen dessen Entfernung keine Chamberlain-Leserin wagnerisch angesungen hat.

Bis zum 24. April 2022 wird Wehrmann Müllner in Eisen Menschen in die Ausstellung Auf Linie in Wien einladen, ihr Ausrufer sein, und danach wird er wieder seinen drögen Wachdienst pflichterfüllt schieben, wieder als der unbekannte Soldat weiter ein recht beliebtes Photomodell für Menschen, die Wien besuchen, sein. Sie werden, während sie sich mit dem Wehrmann fotographieren lassen, vielleicht ausrufen: Das ist in Wien.

Das ist Wien. Vielleicht zu diesem Ausspruch unbewußt verleitet, weil sie von dem kitschglückischen Film hörten, der vor Jahrzehnten in den Kinos zu sehen war, mit dem Titel „38 – Auch das war Wien“, mit dem für kurz der Traum verbunden war, einen Oscar – aber die Hoffnung enttäuscht zuerst …

Das ist Wien. Das ist vielleicht eine Wehrmann Müllner und seinen Kameraden, der auch in der Ausstellung präsent ist, glücklich machende Feststellung, wenn sie durch ihre in Wien aufgestellten Werke miteinander reden, als Nachbarinnen am Modenapark

Das ist Wien.

Werden sie einander zurufen, der Kamerad hinauf zu seinem Kameraden und der Kamerad hinunter in den Park zu seinem Kameraden – das ist Wien! Und es wird Bedauern dabei sein, dieses Wien nicht mehr selbst zu erleben. Es wäre den Gesinnungskameraden eine Ehre gewesen, diese Ausstellung zu eröffnen, durch die Ausstellung der Werke ihrer Gesinnung zu führen, ja, mehr noch, sie hätten selbst eine solche Ausstellung vorgeschlagen, es wäre ihnen eine Selbstverständlichkeit gewesen, die Ausstellung ihrer Werke auszurichten.

Wie recht gut er es mit seinem Platz getroffen hat, wird Wehrmann Müllner vielleicht auch denken, der Wehrmann in Eisen in Wieselburg hat es mit seinem Platz nicht so gut getroffen, ohne Vers, ohne Ausstellung, nur das Zählen der defilierenden Traktoren ihm als schnöde Abwechslung …