Martin Thür: Herr Dr. Van der Bellen, Sie bewerben sich um eine zweite Amstszeit. Ihr Wahlspruch beim letzten Mal war ja: „Mutig in die neuen Zeiten!“ Ein Mut, den viele Kommentatoren dieser Tage bei Ihnen vermißt haben. Wo hat man ihn bei Ihnen in den letzten fünf Jahren gesehen, bemerkt?
Der Kandidat: Das überrascht mich jetzt etwas, weil da wohl ein Mißverständnis über das Amt eines Bundespräsidenten dahinterstehen muß. Um eine Metapher zu wählen. Der Bundespräsident, wenn er am Meer stünde, schaut auf den Horizont hinaus und überlegt sich, was mittel-, langfristig sein sollte, sein könnte, worauf er reagieren wird und er wird nicht jede einzelne Welle im Auge haben, die sich da vor seinen Augen kräuselt. Also aus der Tagespolitik, finde ich, nicht vollkommmen, aber doch weitgehend heraushalten und sich auf die wesentliche Dinge konzentrieren.
Wie können sich Kommentatorinnen nur so schuldig machen, durch ihr Mißverstehen des Amtes einer Bundespräsidentin? Wie können sich Kommentatoren nur so schuldig machen, durch ihr Ernstnehmen der Aussage eines Kandidaten? „Mutig in die neuen Zeiten!“ Eine Metapher wohl auch, bloß eine Metapher, vielleicht aber schon mehr, des Kandidaten erstes Gedicht, der in harten Zeiten dem Volke noch fremde Versen zum Trost vorträgt, noch mit fremden Versen Mut …
Mehr Mut, könnte dem Kandidaten zugerufen, Mut zu mehr eigenen Gedichten. Es besteht kein Zweifel darüber, daß ein Mann mit seinen Erfahrungen, mit der Inspiration des Meeres und des Horizonts, ein Alterswerk zu erschaffen imstande wäre, das solitär …
Martin Thür: Aber es gibt’s ja doch Entwicklungen in diesem Land, die wahrscheinlich mehr sind, als nur eine kleine Welle, die sich in der Tagespolitik bricht, zum Beispiel die Frage der Korruption. Sie haben heute in der Pressekonferenz das sanierungsbedürftige Parlamentsgebäude so als Gleichnis für die Innenpolitik und den Zustand der Politik erwähnt. Aber was haben Sie denn in den vergangenen fünf Jahren dazu beigetragen, daß die Politik in Österreich sauberer wird, demokratischer, korrekter?
Der Kandidat: Ah ja, erinnern Sie sich an gar nix? Na. Äh, muß schon sagen, natürlich waren einzelne Dinge, sagen wir mal, besorgniserregend, als Sittenbild einer Republik. Ich finde, vieles wurde, sagen wir mal, etwas übertrieben. Ich finde, die Justiz arbeitet korrekt. Urteile sind so gut wie keine, mit zwei, drei Ausnahmen vielleicht, noch ergangen. Und für mich gilt im Wesentlichen in solchen Fragen die Unschuldsvermutung, das sage ich Ihnen auch.
Das nächtliche Interview ist vom letzten Montag. 23. Mai 2022. Stunden zuvor gab es an diesem letzten Montag die Pressekonferenz, in der their best man sich erklärte, und er wählte dafür seinen Tag: den Montag, der sein absoluter Leistungstag —
„Erinnern Sie sich an gar nix?“
„Na.“
Der Horizont am Meer eine Linie, auf die der Kandidat schaut, daß diese nicht für die Falschen überschritten, das ist ihm weder eine mittelfristige noch eine langfristige, sondern eine werk- wie feiertags zu erfüllende Pflicht, ihm „eine spannende Aufgabe“, wie er am letzten Sonntag in einer Presseaussendung verlauten ließ, gehaltvoll: „Ich kann mir nichts Sinnvolleres vorstellen.“ Um diese seine schöne Aufgabe des Einsatzes für die „Unschuldsvermutung“ recht zu würdigen, wird es noch weitere Kapitel …
Heute soll dieses Kapitel mit einer Anmerkung zur Presseaussendung von their best man geschlossen werden, mit der dieses Kapitel zu beginnen war, auch wenn die Anmerkung im Schriftbild nicht am Beginn steht:
Mittelfristig, mehr langfristig, sehr langfristig wird es vielleicht einen Kandidaten geben, der seine Kandidatur mit den Worten bekanntgibt: „Ich kandidiere für das Amt des österreichischen Bundespräsidenten und der österreichischen Bundespräsidentin.“
Their best man hat das in seiner Presseaussendung vom letzten Sonntag nicht geschrieben. Er schreibt: „„Mein Name ist Alexander Van der Bellen, ich kandidiere für das Amt des österreichischen Bundespräsidenten und bitte um […]“ Er spricht durchweg vom Bundespräsidenten als Mann.
Soweit bis jetzt bekannt wurde, 29. Mai 2022, sind es auch bloß Männer, die in dieses Amt drängeln wollen. Er schreibt also der Wirklichkeit nach, und beweist damit seinen Wirklichkeitssinn. Aber wo bleibt für einen am Meer stehenden Mann, der auf den Horizont schaut, der Möglichkeitssinn? Es kann eben, so wird er in seiner Vorstellung sein, dieses Amt nur einem Mann zustehen. Er ist ein Mann, der die Frage, ob es „das Amt des Bundespräsidenten brauche“ Martin Thür für sich endgültig beantwortet hat, für their best man ist die Frage „ad acta“ gelegt: „Es braucht ihn.“
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