Es hätte erwartet werden können, daß vor allem die Mannen der identitären Parlamentspartei nicht wanken, auf welcher Seite sie zu stehen haben, wohin sie zu eilen haben, für sie in dieser Stunde der Bewährung der Treue keinen edleren Auftrag als diesen geben kann: ein Land zu entsetzen. Sind es doch die Mannen und Frauen, die unentwegt der Türkenbelagerung Wiens so gesinnungshaftig gedenken, den Entsatz Wiens so inbrünstig feiern.
Zum erfolgreichen Entsatz trugen auch Menschen aus der Ukraine bei. Daran erinnern Denkmäler, jenes im Türkenschanzpark, jenes am Leopoldsberg …
Nein, sie werden nicht untreu, ihrer Gesinnung bleiben sie treu, und diese finden sie in der Ukraine im Jahr 2022 für sie nicht reichlich verbreitet genug, aber im dutinisch regierten Rußland, das ihnen verheißen als Wiederkehr der Herrschaft auch ihres Patriotismus …
Das ist die erste Erinnerung, die der Angriff des Patrioten gegen die Ukraine in Österreich auslöst.
Die zweite Erinnerung, die der vom Patrioten entfachte Krieg in der Ukraine in Österreich auslöst, sind die Denkmäler in Österreich für Menschen aus der Ukraine, die Jahrhunderte später nicht als Entsatzheer aufgeboten, sondern als Divisionen des Entsetzens und Schreckens Tod, Elend und Verwüstung über Menschen zu bringen.
Es ist nicht nur ein einziges ihnen in Österreich errichtetes Denkmal. In Feldbach etwa gleich zwei Gedenkorte.
Die umstrittenen Ukrainer-Denkmäler in Feldbach bleiben bestehen. Die verbotenen Symbole darauf wurden aber entfernt.
Berichtet am 10. Jänner 2018 die Tageszeitung „Kleine Zeitung“. Und noch etwas schreibt diese Tageszeitung mit einer Selbstverständlichkeit: „Zigeuner“. Das ist zum Gedenken der Gegenwart, in der wieder und wieder davon zu berichten ist, daß Menschen, die von der Kleinen Zeitung wie selbstverständlich – nicht einmal in Anführungszeichen gesetzt – Zigeuner genannt werden, Diskriminierungen und noch weit darüber hinausgehenden Torturen ausgesetzt sind und zu erleiden haben, nun sogar als Menschen, die aus der Ukraine fliehen müssen.
Im Frühjahr 1945 wurde die 14. Ukrainische SS-Waffen-Grenadier-Division im Abwehrkampf um Feldbach gegen die Russen eingesetzt, was in dieser Division zu hohen Verlusten führte (siehe mehr zum geschichtlichen Hintergrund in der untenstehenden Infobox). Es gilt jedoch auch als bewiesen, dass sich die Ukrainer an Massakern gegen Juden und Zigeunern beteiligten.
Wie am 1. April 2022 in Deutschland berichtet wird:
Denkbar ist das insbesondere im Hinblick auf Diskriminierung. Ein Fall in Mannheim zeigt, dass sie als Geflüchtete teils anders behandelt werden, als ihre Landsleute. Auch Roma verlassen ihre ukrainische Heimat und suchen Zuflucht in einem anderen Teil der Ukraine* oder im Ausland. Erwähnt sei an dieser Stelle, dass sich viele Roma verpflichtet fühlen, für ihr Heimatland zu kämpfen – laut Angaben von Roma-Organisationen haben sich bislang einige Hundert freiwillig gemeldet –, und das, obwohl sich Roma seit Jahren Überfällen durch Rechtsradikale ausgesetzt sehen.
So in der Steiermark, so auch in Kärnten. Eine Gedenktafel für das 15. Kosaken-Kavallerie-Korps der Wehrmacht und Waffen-SS gibt es, ja, wo sonst, als am Ulrichsberg. Ob es „Kosaken“ aus der Ukraine waren, so umfangreich wollte gar nicht recherchiert werden. Nur so viel: „Kosaken“ aus dem Auffanglager Cherson, Ukraine, waren dabei.
Der Tiroler FPÖ-Politiker und Nationalrat Gerald Hauser sorgt für helle Aufregung: Denn auf seiner Facebook-Seite verbreitet er jetzt einen Text des in der Katholischen Kirche als Verschwörungstheoretiker eingestuften Erzbischofs Carlo Maria Viganò zum Ukraine-Krieg. Darin schreibt der italienische Papst-Kritiker und ehemalige Nuntius in den USA, dass Wladimir Putin von einer aggressiven, von den USA unterstützten NATO in die Enge getrieben worden sei. Zudem versuche eine globalistische Elite, sowohl Russland als auch der Ukraine auf diese Weise eine Falle zu stellen. Letztlich, so Viganò, sei der Krieg Teil eines Plans zur Errichtung einer neuen Weltordnung. Die UNO, die NATO, der Internationale Währungsfonds, die EU und Milliardäre wie George Soros […]
Berichtet am 18. März 2022 die „Tiroler Tageszeitung“. Dieser Gesinnung wegen muß unweigerlich zu dutinischen Entlastung auch der Name eines jüdischen Menschen fallen, dessen Name seit langem schon nicht nur in Österreich als das Synonym für Antisemitismus in die Lexika aufgenommen gehörte. Und im Zusammenhang mit dem Antisemitismus ist an einen jüdischen Menschen aus Odessa zu erinnern, der vor etwa einhundertvierzig Jahren wegen der diskriminierenden Gesetze des russischen Reiches gegen jüdische Menschen („Maigesetze“ des Zaren Alexander III.) nach Frankreich auswanderte: Samuel Jankélévitch, der mehr für das Ansehen Österreichs in der Welt, vor allem in der französischsprachigen Welt getan hat, als je einer oder eine aus der hauserischen Partei, genauer: für das positive Ansehen von Österreich, das dieses Land Menschen wie Freud – Samuel Jankélévitch war der erste Übersetzer der Werke von Sigmund Freud in das Französische. Auch Otto Rank übersetzte er.

Wer je von Vladimir Jankélévitch, dem Sohn von Samuel Jankélévitch, „Verzeihen?“ 1971 oder erst lange danach gelesen hat, wird wohl gedacht haben, das ist zu rigoros. Wer „Pardonner?“ erst jetzt in der Gegenwart mit Blick auf die hauserische Partei und auf den österreichisch wohlgefälligen Umgang mit dieser hauserischen Partei zum ersten Mal liest, wird dieser Strenge nur zustimmen können.
Ist es an der Zeit, zu verzeihen oder mehr oder weniger zu vergessen? Zwanzig Jahre scheinen auszureichen, um das Unverzeihliche auf wundersame Weise verzeihlich werden zu lassen: Mit vollem Recht und von heute auf morgen ist das Unvergeßliche vergessen. Ein Verbrechen, das bis Mai 1965 unsühnbar war, hört also plötzlich von Juni an auf, es zu sein: wie durch Zauberei … Und so beginnt das offizielle oder legale Vergessen heute abend um Mitternacht. Es einem Verbrecher zwanzig Jahre lang übelzunehmen, ist legitim: Doch vom einundzwanzigsten Jahr an stürzen diejenigen, die noch nicht verziehen haben, ihrerseits unter dem Eindruck der Rechtsverwirkung und halten Einzug in die Kategorie der nachtragenden Menschen! Das ist die Frist. Und dennoch ist es das erste Mal, daß selbst die Gleichgültigsten das Grauen der Katastrophe in seinem ganzen Umfang erfassen. Ja, sie haben zwanzig Jahre gebraucht, um die gigantischen Dimensionen zu begreifen wie nach einem Verbrechen, das in keinem Verhältnis zu den gewöhnlichen Untaten, dessen Wirkungen und Reichweite man erst nach und nach ermißt; die Vernichtungsfabriken und namentlich Auschwitz, die überwältigendste unter ihnen, sind in der Tat in in dieser besonderen Rechtsproblematik von erheblichem Belang; ihre weitreichenden Konsequenzen erscheinen nicht mit einem Schlag, sondern entwickeln sich mit der Zeit und dehen sich immer weiter aus.
So beginnt Vladimir Jankélévitch. Jahrzehnte nach diesem Essay muß gesagt werden: das Unvergeßliche ist nicht vergessen. Davon zeugen all die inflationären Veranstaltungen des Erinnerns. Vergessen aber wird dabei auf die Unbelehrbaren des „Unverjährbaren“, die für sich meinen Belehrende zu sein, die in Österreich auf höchste Staatsämter angelobt werden, die in Österreich von höchst besonderer Stelle bedankt werden.
Das Erinnern an das Unvergeßliche ist das Erinnern der Massenverbrechen vor 1945, und dieses Erinnern geht einher mit dem Vergessen der Gegenwart, in der die Frage nach dem Verzeihen gar nicht gestellt wird, weil in diesem Österreich nichts geschieht, das verziehen werden müßte, weil in diesem Österreich alles der Großzügigkeit anheimfällt, wenn dabei nur brav bewegt dem Unvergeßlichen, das vor 77 Jahren massenmörderisch geschah, gedacht wird. Und das von ordentlich vielen Kameras in komponierten Betroffenheitseinstellungen aufgenommen und dann in hübscher Schwere verbreitet.
Wie mußte es in dieser Zeit, als Vladimir Jankélévitch dies schrieb, in Österreich zugegangen sein, daß er auf diesen rund vierzig Seiten mehrmals von Österreich sprechen mußte. Eine Vorstellung davon ist nicht nur durch die hauserische Partei, nicht nur durch den Umgang mit der hauserischen Partei in der Gegenwart zu bekommen, sondern etwa auch durch ein ganzseitiges Inserat in einer Tageszeitung vom 24. März 2022, mit dem geworben wird für eine Armbanduhr, mit der „wagemutigen Piloten“ und einem „der legendärsten Jagdflugzeuge“ die Menschen in Österreich gedenken sollen, die in ganz Europa im Einsatz waren, von Guernica bis …
Im Einsatz für den Österreicher. Im Einsatz dafür, daß all diese Massenverbrechen, all diese Massenmorde an so vielen Orten in Europa begangen werden konnten.
[…] ist ein ganzes Volk direkt oder indirekt an dem Unterfangen der gigantischen Vernichtung beteiligt gewesen; ein einmütig um seinen Führer versammeltes Volk, den es manches Mal wie besessen durch Plebiszit gewählt hatte, dem es so viele Male seine begeisterte Zustimmung bekräftigte, in dem es sich selbst wiedererkannte. Wir haben noch das abscheuliche Geschrei der Nürnberger Parteitage im Ohr. Daß ein gutmütiges Volk zu diesem Volk von tollwütigen Hunden hat werden können, ist ein unerschöpflicher Gegenstand der Ratlosigkeit und des sprachlosen Erstaunens. Man wird uns vorwerfen, diese Übeltäter mit Hunden zu vergleichen? Ich gestehe es in der Tat: Der Vergleich ist beleidigend für die Hunde. Hunde hätten weder die Verbrennungsöfen erfunden noch daran gedacht, Phenolspritzen in das Herz von kleinen Kindern zu setzen …
Zu diesem Österreich der Gegenwart hat Vladimir Jankélévitch gesagt, was gesagt werden kann, vor über fünfzig Jahren, in „Pardonner?“. Es bleibt nur eines, einmal all die Stellen daraus zur Kenntlichkeit Österreichs der Vergangenheit einmal zu zitieren:
Aber wir, was sollen wir angesichts dessen, was geschehen ist, tun? Im eigentlichen Sinn des Verbs „machen“ kann man heute nur ohnmächtige, symbolische und sogar unvernünftige Gesten wie zum Beispiel, niemals mehr nach Deutschland zu fahren … und noch weniger nach Österreich!
Aber ein Wort des Verständnisses hätten wir mit Dankbarkeit, mit Tränen in den Augen entgegengenommen. Ach! Was die Reue anbelangt, haben uns die Österreicher den schändlichen Freispruch der Henker zum Geschenk gemacht.
Gewisse skandalöse Entscheidungen, besorgniserregende Zeichen, alles verkündet den eklatant bösen Willen, den die Deutschen … und die Österreicher bei der Verfolgung der Verbrecher mehr und mehr an den Tag legen, von denen loszusagen sie sich in ihrem tiefsten Innern nicht entschließen können. Wenn sie sie ohne Überzeugung und widerwillig verfolgen, dann deshalb, weil sie sich in ihnen wiedererkennen.
Längst ist alles vergeben und vergessen. Es müssen nur noch Oradour und München zu Partnerstädten erklärt werden. Gewisse, bemerkenswert wenig nachtragende Franzosen fanden es ganz natürlich, sechs Monate nach dem Krieg die einträglichen Verbindungen des Geschäfts und der Zerstreuung mit den alten Henkern ihres Vaterlandes neu zu knüpfen. Als beträfe die entsetzliche Demütigung von 1940 sie nicht. Als hätte die Schande der Kapitulation sie nicht getroffen. Ja, verbringen Sie Ihre Ferien in Deutschland. Österreich heißt Sie willkommen.
Nein, Geschäfte sind nicht alles. Nein, Ferien sind nicht alles; und der Tourismus auch nicht, noch die schönen Reisen oder die Festivals, und wären sie österreichisch.
Bei der Erwähnung des Festivals, und wären sie österreichisch, muß unweigerlich an die Operndiva gedacht werden, die Jahrzehnte später im österreichischen Fernsehen sagen wird, es wären ja nicht alle „Nazis“ gewesen, aber von ihr nicht so gemeint, wie es Jahrzehnte zuvor Vladimir Jankélévitch schrieb …
Die Nachkommen der Henker sind gut gelaunt, und sie finden es ganz natürlich, als wenn nichts gewesen wäre, in lärmenden Scharen quer durch dieses Europa zu spazieren, das ihre Armeen unlängst mit Feuer und Schwert verwüsteten. Niemand hier unten hat ein schlechtes Gewissen, das ist hinlänglich bekannt. Niemand ist schuldig, weil niemand jemals Nazi war, so daß der abscheuliche Genozid, die Katastrophe an sich, wie Erdbeben, Flutwellen und die Ausbrüche des Vesus, die Schuld von niemandem ist.
Wie dieses Kapitel schließen? Mit einem Satz von Vladimir Jankélévitch, vor Jahrzehnten von ihm geschrieben, aber so gültig, als wäre dieser erst heute geschrieben worden, menschgemäß nicht in Österreich, aber für Österreich bestimmt, wie für kein zweites Land dieser Vergangenheit:
Im übrigen ist der Nazismus keine „Meinung“, und wir dürfen es uns nicht zur Gewohnheit werden lassen, darüber mit seinen Advokaten zu diskutieren.
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.