Tag-Archiv für Octave Mirbeau
Positive Beteiligung an der Nationalratswahl am 15. Oktober 2017 in Österreich nur mehr die einhundertprozentige Nichtbeteiligung!
Folge 5
Es wurde in dieser Serie vieles für eine Wahlbeteiligung angeführt, vor allem dafür, weder FPÖ noch ÖVP noch SPÖ zu wählen, aber vielleicht ist das einzige wirkliche Mittel noch, damit sich tatsächlich etwas verändert, sind doch alle gar so von notwendigen Veränderungen beseelt, am 15. Oktober 2017 in Österreich nicht zur Nationalratswahl zu gehen.
Es könnten die versprochenen Veränderungen rascher kommen, es könnte der längst überfällige Bruch mit der realpolitischen Tradition in Österreich rascher kommen, wenn sich niemand an der Nationalratswahl am 15. Oktober 2017 beteiligt, wenn es also eine Null-Prozent-Wahlbeteiligung gibt, wenn also niemand, tatsächlich niemand gewählt wird, niemand eine einzige Stimme erhält, es aber auch keine einzige ungültige Stimme gibt. Alle Wahlberechtigten am 15. Oktober 2017 irgend etwas machen, nur eines nicht, ein Wahllokal aufzusuchen.
Das könnte ein fruchtbarer Schock sein. Das könnte tatsächlich zu einem tiefgreifenden Überdenken der bisherigen parteipolitischen Gewohnheiten führen, hin zu einem politischen Denken, das automatisch das sofortige Aus für die bisherigen österreichischen und also unseligen Gepflogenheiten bedeutete.
Es ist wohl in kaum einem zweiten Land in der Europäischen Union ein solcher Streik der Wählerinnen und Wähler von höchster Dringlichkeit wie in Österreich, eine Verweigerung der Stimmabgabe, an der sich einhundert Prozent der Wahlberechtigten beteiligen. Im Angesicht des drohenden Wahlergebnisses am 15. Oktober 2017, im Angesicht der Drohung der daraus hervorgehenden Regierung in einer Zusammensetzung – gleich in welcher Farbmischung: ob schwarzblau oder rotblau – ist eine Nichtbeteiligung zu einhundert Prozent an dieser Wahl die aktivste Beteiligung, die für den 15. Oktober 2017 gewählt werden kann. Denn. Bei einer einhundertprozentigen Nichtbeteiligung wird tatsächlich tiefgreifend reagiert werden müssen, und nach einer einhundertprozentigen Nichtbeteiligung kann, kurz gesagt, wird nichts bleiben, wie es je gar so bequem war.
Was seit über einhundert Jahren in Frankreich nicht umgesetzt wurde, ein „Streik der Wähler“ nämlich, obgleich es bereits vor über einhundert Jahren wortreich von Octave Mirbeau
Der Streik der Wähler und Wählerinnen
La Grève des électeurs contre Le Pen, Marine FN
vorgeschlagen wurde – ein Vorschlag, der auch in Österreich damals bereits bekannt war, kann daher leider nicht als Erfahrungsbericht weder im Positiven noch im Negativen hier vorgelegt werden. Auch in diesem Jahr sind nicht einhundert Prozent der Wählenden der Wahl in Frankreich ferngeblieben, obgleich es wieder weniger, viel weniger waren, die zur Wahl gingen. Es wird dazu kommen, daß irgendwann, ob in Frankreich, ob in Österreich, die Wählenden gänzlich wegbleiben werden, aber dann wird es zu spät sein, um eine Nichtbeteiligung positiv zu nutzen, durch eine Nichtbeteiligung eine positive Wende herbeizuführen.
Deshalb, wenn Veränderungen wirklich gewollt werden, den 15. Oktober 2017 für eine Wahlverweigerung nutzen, für einen heilsamen und fruchtbringenden Schock, aber die Wahlverweigerung muß eine einhundertprozentige sein.
Weltkulturerbe: Fetisch für die Alten und Toten
Es geht in Wien hoch her.
Als stünde der Weltuntergang unmittelbar bevor, wenn ein Haus gebaut wird, das sechsundsechzig Meter hoch – allerdings, wienerischer Weltuntergang, zelebriert auf dem Rummelplatz mit der Adresse Am Heumarkt …
Vor allem mit dem Weltkulturerbe wird Stimmung gemacht, mit dem Weltkulturerbe wird aufmarschiert, mit dem Weltkulturerbe werden die Truppen der Bewahrer und Bewahrerinnen aufmunitioniert …
Weltkulturerbe: Vater aller Bomben.
Der Bombenvater Weltkulturerbe ist, das immerhin, ein harmloser Bombenschmeißer, einer von Bomben also, die nicht töten.
Die Vaterbombe ist eine Nebelbombe, eine Vernebelungsbombe, eine Täuschungsbombe, eine Selbsttäuschungsbombe.
Oh! Wie wird also um das Weltkulturerbe gekämpft. Es geht dabei um Bauten, um Architektur, um das Stadtbild. Aber es geht dabei nur um die bloße Fassade. Denn. Das Innen der Häuser hat doch längst nichts mehr gemein mit dem ursprünglichen Zustand der Häuser, als diese gebaut wurden. Sie sind alle modernisiert. Es würde auch niemand, auch die, die jetzt so für das Weltkulturerbe heiß in die Schlacht ziehen, in einem Gebäude in seiner ursprünglichen Ausstattung wohnen wollen. Ohne Strom, ohne Wasserklosett, ohne …., ohne … und ohne … und so weiter und so fort. Es ist eine reine Schlacht um die Fassade, das Außen soll alt, weltkulturerblich aussehen, verziert, verschmückt, aber das Innen muß hochmodern, das Gesamtinnere vom Weltkulturerblichen entkernt …
Es ist die Schlacht um das Schlagobers, es ist das Schlagen von Sahne. Würden die, die jetzt so um das Schlagobersaußen kämpfen, in einem Gebäude im ursprünglichen Zustand wohnen müssen, wie würden sie darum kämpfen, auf die Straße gehen, Barrikaden errichten, um die Innenmodernisierung durchzusetzen, den Einbau von Wasserklosett, den Einbau von einem Badezimmer mit Whirlpool, den Einbau von einem Lift, den Einbau von hochtechnischen Lärmschutzfenstern, den Austausch der Mauern gegen wärmedämmende Wände, den Einbau einer Klimaanlage, wobei es sie ganz und gar nicht störte, wenn die Klimagerätepusteln an den Außenmauern ihr ach so geliebtes und verehrtes Schlagobersstadtbild … und so weiter und so fort.
Was will denn mit dem Beharren auf das Weltkulturerbe weitergetragen werden, erhalten werden? Die finstersten Zeiten der Menschheit, die, und das ist zu dauern, andauern, auch durch den Geist, der mit dem Weltkulturerbe transportiert wird.
Schriften von Martin Luther – 500 Jahre Weltkulturerbe Antiziganismus
Kunst- und Kulturschaffende kämpfen um Heumarkterbe
Neues braucht die Stadt, mehr noch das gesamte Land
Abriß eines Gebäudes im Resselpark zur Schaffung eines Begegnungsgrünraumes
Ein Land wird weiter verkleinert – Am Beispiel Wkr-Ball, Roland Girtler und die Bratlliste
Weltkulturerbe: Pflege statt Entsorgung des durch die die Jahrhunderte hinterlassenen geistigen Unrats … und zugleich ist es nur eine Liste, bloß eine Bratlliste …
Weltkulturerbe: durchaus ein Synonym für Gerontophilie und Nekrophilie … Fetisch für die Alten und Toten — — es würde gar nicht verwundern, wenn auch noch die Forderung erhoben werden würde, Maria Theresia Habsburg, deren Geburtstag in diesem Jahr hysterisch gefeiert wird, auch noch auf die Bratlliste zu setzen; sie paßte dazu, beispielsweise mit ihrem Antiziganismus.
Das schlimmste von allen Tieren ist, kurz gesagt, das autofahrende Tier
Seit der Überlandpartie am 1. Mai, bei der dem entzückenden Bericht über das radfahrende Pferd gelauscht werden durfte, sind wieder, wie festgestellt werden muß, ganz und gar nicht erfreuliche …
drei junge Menschen wurden ermordet …
Menschen rissen der Bildung ihre Maske herunter und zeigten ihre Kruckenkreuznase des Antisemitismus und …
Menschgemäße Tage eben, menschgemäße Tage sind wieder vergangen, und menschgemäß ging es ebenfalls weiter mit innenpolitischen Wirren …
Wie gut ist es dann, auch dieses Wochenende neben Karl-Loisl Platz nehmen zu dürfen, über das Land fahren zu können, dabei dem auf der Rückbank bequem Sitzenden zuzuhören, erfreut darüber zu sein, schon am Freitag, dem 12. Mai, losgefahren zu sein, um nichts von dem mitzubekommen, was gerade an diesem Tag noch so plapp plapp plapp … wie angenehmer und vielsagender hingegen die Motorgeräusche, das Schnauben und Wiehern der radfahrenden Pferde, das Geschnatter der Gänse …
Und sogleich wird von ihm, kaum ist der Motor angelassen, sind die ersten Meter zurückgelegt, die Erzählung vom 1. Mai wieder aufgenommen und fortgesetzt, die von ihm abgebrochen wurde mit: „Aber da ist auch noch der Autofahrer.“
Aber da ist auch noch der Autofahrer. Haben wir den Mut, es zu bekennen: Er ist von allen Tieren der Landstraße vielleicht das schlimmste.
Ich spüre es an mir selbst. Wenn ich, mit beiden Füßen fest auf dem Boden und kühlem Kopf, mein Gewissen erforsche, stelle ich mit Entsetzen fest, daß ich selbst zuweilen dieses Tier bin … Und doch, verehrter Herr, bin ich in meiner generellen Lebenshaltung weder ein Snob, den der Anblick des Reichtums begeistert, noch ein Herzloser, den der Anblick der Armut beleidigt. Ohne Pose, ohne Literatur, ohne Hintergedanken im Hinblick auf die Karrieren, da ich mir keinerlei Pöstchen, keinerlei Mandat, keinerlei Orden erwarte, habe ich tiefstes Mitleid mit dem menschlichen Unglück. Jeden Tag empöre ich mich immer mehr darüber, daß die Männer, die an der Macht sitzen – egal, unter welchem Etikett, und sei es auch das röteste, sie an die Macht gelangen –, allein aus Liebe zur Macht die soziale Ungleichheit, die sorgfältig gezüchtet wird, zur ständig gleichen Regierungsmethode machen und daß sie ein leidendes Proletariat – das den Reichtum eines Landes erarbeitet, ohne daß man es jemals daran teilhaben läßt – unerbittlich in der härtesten, der ungerechtesten Versklavung halten. Und da der Reiche – mit anderen Worten: die Regierung – immer blind gegen den Armen ist, bin ich, ebenfalls blind und zu allen Zeiten, gemeinsam mit dem Armen gegen den Reichen, mit dem Niedergestreckten gegen den Niederstrecker, mit dem Kranken gegen die Krankheit, mit dem Leben gegen den Tod. Das ist vielleicht etwas zu sehr vereinfacht, von unreflektierter Parteilichkeit, wogegen es gewiß vieles einzuwenden gibt … Aber ich verstehe nichts von den Feinheiten der Politik. Und sie verletzen mich wie ein Unrecht.
Sobald ich aber im Automobil sitze, von der Geschwindigkeit mitgerissen und vom Schwindel ergriffen werde, erlöschen diese humanitären Gefühle. Ich spüre, wie sich in zunehmendem Maße dunkle Fermente von Haß in mir regen, ich spüre, wie die schweren Hefen eines schwachsinnigen Stolzes in mir gären und aufsteigen … Es ist wie ein verabscheuungswürdiger Rausch, der in mich fährt … Die schmächtige menschliche Einheit, die ich bin, verschwindet und weicht einer Art wunderlichem Wesen, in dem sich – oh, lachen Sie nicht, ich flehe Sie an! – die Pracht und Kraft der Elemente, der Naturgewalten verkörpern. Im Laufe dieser Seiten habe ich schon mehrmals von den Erscheinungsformen dieses kosmogonischen Größenwahns gesprochen.
Und da ich die Naturgewalt, der Wind, der Sturm, der Blitz bin, müßte Ihnen begreiflich werden, mit welcher Verachtung ich von der Höhe meines Automobils herab die Menschheit … was sage ich? … das gesamte meiner Allmacht unterworfene Universum betrachte. Doch welch erbärmliche Naturgewalt, da bereits ein kleiner Karren, der den Weg versperrt, genügt, um sie machtlos und kleinlaut zum Anhalten zu bringen … Welch erbärmliche Allmacht, da sie bereits ein Stein, der auf der Straße liegt, in den Straßengraben stürzen läßt!
Und dennoch … und dennoch.
Da ich die Naturgewalt bin, lasse ich nicht zu, kann ich nicht zulassen, daß sich auch nur das geringste Hindernis vor der Laune meiner Bewegungen aufrichtet. Es ist nicht nur unter der Würde einer Naturgewalt, daß sie anhält, wenn sie es nicht will, sondern es ist absolut lächerlich und ungebührlich, daß eine Kuh, ein Bauer, der sich auf dem Weg zum Markt befindet, ein Fuhrmann, der Mehl- oder Kohlesäcke in die Stadt befördert, daß all diese Leute, die niedrige alltägliche Arbeiten verrichten, sie zwingen, ihren unbesiegbaren, alles beherrschenden Lauf zu verlangsamen.
»Platz gemacht … Platz gemacht …. Hier kommt die Naturgewalt!«
Und ich bin nicht nur die Naturgewalt, bestätigt mir der Automobil-Club, mit anderen Worten, die herrliche blinde und brutale Kraft, die verwüstet und zerstört, sondern ich bin auch der Fortschritt, flüstert mir der Touring-Club ein, mit anderen Worten, die organisierende und erobernde Kraft, die unter anderen zivilisatorischen Wohltaten auch den Familienpensionen im hintersten Winkel der Gebirge einen neuen Anstrich in Lackfarbe verleiht und hochmoderne water-closets samt Gebrauchsanweisung in den kleinen Hotels der entlegensten Provinzen verteilt …
»Also Platz gemacht für den Fortschritt! … Platz gemacht! Platz gemacht!«
Und siehe da!
Sobald die Sirene ertönt, kommen die Menschen aus ihren Häusern gestürzt, sie verlassen ihre Felder, rotten sich zusammen, verfluchen mich, zeigen mir die Faust, drohen mir mit Sensen und Mistgabeln, bewerfen mich mit Steinen. Seit Jesus ist das immer die gleiche Geschichte. Man opfert sich für die Menschen. Und was passiert? Man wird von ihnen gesteinigt, da die Verweichlichung der Zeit es nicht mehr erlaubt, daß sie einen kreuzigen!
Diese rückschrittliche Verstocktheit der Dorfbewohner, denen ich ihre Hühner, ihre Hunde, manchmal auch ihre Kinder überfahre, ist sie nicht im höchsten Grade beunruhigend, entmutigend, ja empörend, da sie nicht begreifen wollen, daß ich der Fortschritt in Person bin und daß ich für das Glück der Allgemeinheit arbeite? Angewidert von diesem Empfang, wütend über dieses Unverständnis, wie ich bin, könnte ich sie durchaus ihrem lächerlichen Schicksal überlassen, ihre trübselige Ruhe respektieren, mit einer regressiven Langsamkeit, dem gemäßigten Tempo einer alten Postkutsche durch ihre Dörfer und über ihre Landstraßen fahren … Aber nein … Ihre Beschränktheit darf mich nicht daran hindern, meine Mission des Fortschritts zu erfüllen … Ich werde ihnen das Glück bringen, auch gegen ihren Willen; ich werde es ihnen bringen, selbst wenn sie nicht mehr auf dieser Welt sind! …
»Platz gemacht! Platz gemacht für den Fortschritt! Platz gemacht für das Glück!«
Und um ihnen zu beweisen, daß es das Glück in Person ist, was da angefahren kommt, und um ihnen ein herrliches und dauerhaftes Bild von diesem leibhaftigen Glück zu hinterlassen, zermalme, überfahre, töte ich … Ich verbreite Schrecken! Alles ergreift Hals über Kopf die Flucht vor mir … Selbst die Telegraphenmasten werden von Panik ergriffen; die Bäume werden vom Schwindel gepackt … Die Häuser scheinen von Epilepsie geschüttelt … Auf den Feldern sehe ich Pferde vor dem Pflug sich so verrückt aufbäumen wie die steinernen Pferde vom Heldenplatz … Die Kühe stürzen in die Straßengräben … Und hinter dem Jupiter, dem Zusammenfüger des Staubs, der ich bin, wird die Landstraße übersät von zertrümmerten Fuhrwerken und totem Getier …
»Schneller! Noch schneller … Es naht das Glück!«
An dem Tag, als ich endlich über die triste Sankt Pöltner Landstraße und die trübseligen Öden des kreuzbuckeligen Waldviertels von meiner Reise zurückkehrte, da sah ich zwischen Stiftmelken, Heiligenkreuzerhof und Kreuzbrünsting aus der Ferne eine Gruppe von Leuten, die sich sonderbar gebärdeten … Einer löste sich aus der Gruppe und gab mir ein Zeichen anzuhalten …
Mitten auf der Straße lag ein eingedrücktes, ganz verbogenes Automobil … Ein paar Schritte weit entfernt auf der Böschung lang ein kaum zwölfjähriges Mädchen mit zerschmetterter Brust und blutüberströmtem Gesicht … Eine Frau war über sie gebeugt und versuchte sie wieder ins Leben zurückzurufen.
»Jaqueline!« schrie sie. »Meine kleine Jaqueline!«
Ich trat heran, untersuchte das Kind, verabreichte ihm Äther- und Koffein-Injektionen in den Thorax, doch leider vergebens!
»Sie ist tot«, erklärte ich der Mutter.
Ihre Klageschreie wurden herzzerreißend. Da trat auch der Herr des umgestürzten Automobils heran. Er hatte keinerlei Verletzung …
Er war barhäuptig, da er bei dem Zusammenstoß seine Schirmmütze verloren hatte. Ein wenig Staub blondierte seinen schwarzen Bart …
»Seien Sie nicht traurig, gute Frau«, sagte er. »Was passiert ist, ist zweifellos unerfreulich, und vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich Ihr Kind nicht getötet hätte … Ich kann also mitfühlen mit Ihrem Schmerz … Ich selbst bin übringens in einer geradezu verdienstvollen Lage, denn die Affäre ist für mich, da ich versichert bin, ohne Bedeutung, und ich habe keinen Schaden …
Denken Sie doch nach, gute Frau. Ein Fortschritt stellt sich nie in der Welt ein, ohne daß dies ein paar Menschenleben kostet … Betrachten Sie die Eisenbahn, die Unterseeboote … ich könnte Ihnen noch schlagendere Beweise nennen … Aber reden wir über die Sache, die uns betrifft … Es ist doch evident, nicht wahr? … daß der Automobilismus ein Fortschritt ist, vielleicht der größte Fortschritt dieser bewundernswerten Zeit … Also erheben Sie Ihre Seele über dies banalen Alltäglichkeiten. Sagen Sie sich, daß der Automobilismus, auch wenn er Ihre Tochter getötet hat, allein in Österreich zweihunderttausend Arbeiter ernährt … zweihunderttausend Arbeiter, verstehen Sie? … Und die Zukunft? … Denken Sie an die Zukunft, gute Frau! Bald wird es überall Massenverkehrsmittel geben. Sie werden kleine Landstriche, die heute noch völlig isoliert sind, die nicht mal die geringsten Kommunikationsmittel besitzen, schon morgen mit allen Produktionszentren verbunden sehen … Sie werden in den toten Regionen neue Formen des Austauschs funktionieren, neue Quellen des Reichtums entstehen, ein ganz neues Leben aufkommen sehen, das bislang unbekannt war, das man sich nicht mal zu erhoffen wagte … Sagen Sie sich mit bestem Gewissen, daß Ihre Tochter sich dafür geopfert hat … daß sie eine Märtyrerin ist … eine Märtyrerin des Fortschritts … Und Sie werden getröstet sein …
Jetzt werde ich mir Ihren Namen und Ihre Adresse notieren … Schon heute abend werde ich an meine Versicherungsgesellschaft schreiben. Das ist eine ausgezeichnete Gesellschaft … Sie wird Ihnen eine kleine Entschädigung anbieten …
Eine Entschädigung in Relation zu Ihrem gesellschaftlichen Stand, versteht sich, der mir eher gering zu sein scheint …
Wie dem auch sei, seien Sie ganz beruhigt, sie wird die Sache in korrekter Weise regeln … Wer mehr zu bedauern ist, der bin ich … Sehen Sie meinen Wagen an … Ich werde die Eisenbahn nehmen müssen, um nach Kloster Neudorf zurückzukehren, was für einen wahren Automobilisten, wie ich es bin, immer eine Qual ist … Aber auch ich tröste mich, indem ich mir sage, daß ich für den Fortschritt und für das Glück der Allgemeinheit arbeite … Grüß Gott!«
Ich wollte einem so vollendeten Autofahrer nicht die Demütigung zumuten, mit der Eisenbahn nach Kloster Neudorf zurückzukehren. Ich bot ihm einen Platz in meinem Wagen an.
Und da die Mutter, immer noch über die Leiche ihres Kindes gebeugt, weiter schluchzte, meinte dieser herausragende Kollege, während er so bequem wie möglich neben mir Platz nahm, betrübt:
»Oh! … Wir werden noch große Mühe haben, die wahre Vorstellung vom Fortschritt zu verbreiten … unter diesen armen Leuten … Ihre Schä…«
Er sprach seinen Satz nicht zu Ende, der vollständig lauten müßte: »Ihre Schädel sind einfach zu hart!« Vielleicht befürchtete er, die kleine Bauerstochter, die da auf der Straße lag, könnte ihm zu leicht das Gegenteil beweisen …
Es wurde Zeit, daß ich wieder weiterfuhr … seit ich festen Boden unter meinen Füßen spürte, begannen meinen Ansichten eines Automobilisten nämlich zu wanken …. Und ich begann mich bereits mit einigem Entsetzen zu fragen, ob ich wirklich der Fortschritt und das Glück in Person war.
Noch ein Augenblick länger … und ich hätte dem Sprichwort über die Fauna der Landstraße gewiß hinzugefügt:
»Und dann kommt nichts … Und dann kommt immer noch nichts … Und dann kommt der Automobilist!«
Österreich verliert gegen Frankreich
Österreich, das seichte Machwerk
Die Hoffnung erfüllte sich nicht. Wieder einmal enttäuschte die Hoffnung zuerst.
Das „seichte Machwerk Im weißen Rössl“ wurde seit 1898 nicht nur unzählige Male aufgeführt, es wurde auch unzählige Male adaptiert, für Film und Fernsehen. Alle gaben und geben sich dem weißen Rößl hin. Und ein Ende von dem ist nicht abzusehen.
Die Hoffnung erfüllte sich also nicht, das weiße Rößl werde weit zurückbleiben.
Nach bald 120 Jahren läuft es immer noch, es blieb nicht zurück, und es gehört mit den anderen weißen Gäulen zur vielbeschworenen Identität des Landes Weißgaulchen.
Was würde der Mensch, der 1898 für die „Wiener Rundschau“ die Theaterkritik verfasste, heute, hätte ihn das Unglück ereilt, immer noch zu leben, im Rückblick bis zu seiner Theaterkritik sagen? Vielleicht kurz und schlicht: was könne aus einem Land schon werden, dem ein seichtes Machwerk zu Identitätsstiftung ward. Oder er würde sagen, tauschen Sie das Rößl gegen Österreich, entfernen Sie alle Theaterhinweise, kürzen Sie es auf die Winzigkeit des Staates, und Sie haben das gesamte Land vor sich ausgebreitet.
„Im Österreich“
Eine Niveauaufhebung ist nicht zu erwarten. Die Knallerbsen machen taub und verderben. Leute „Im Österreich“ wirken verheerend. Wahrlich die Zustände in der Welt sind keine solchen, dass wir uns ohne Gefahr soweit von dem Kern der Dinge weglocken lassen dürften. Die Wiederholung des seichten Machwerkes als ewige Identitätsparole: Zurückbleiben.
La Grève des électeurs contre Le Pen, Marine FN
Il ne faut pas forcément une grève générale. Est la réponse. Une grève tournante sera suffisante. Il sera un début. Ne pas voter pour la candidate sera un début. En se passant ainsi que partiellement de son droit de vote. Tout ce que vous récriminez contre la candidate Le Pen est tout à fait juste et pertinent. Pour cela ne pas voter pour elle sera suffisant, pour le début. Ainsi que Marine Le Pen représente la «négation du politique» du Front National.
Comme réponse à ce fait Octave Mirbeau écrit une copie de son essai.
Une chose m’étonne prodigieusement — j’oserai dire qu’elle me stupéfie — c’est qu’à l’heure scientifique où j’écris, après les innombrables. expériences, après les scandales journaliers, il puisse exister encore dans notre chère France (comme ils disent à la Commission du budget) un électeur, un seul électeur, cet animal irrationnel, inorganique, hallucinant, qui consente à se déranger de ses affaires, de ses rêves ou de ses plaisirs, pour voter en faveur de quelqu’un ou de quelque chose. Quand on réfléchit un seul instant, ce surprenant phénomène n’est-il pas fait pour dérouter les philosophies les plus subtiles et confondre la raison? Où est-il le Balzac qui nous donnera la physiologie de l’électeur moderne? Et le Charcot qui nous expliquera l’anatomie et les mentalités de cet incurable dément? Nous l’attendons.
Je comprends qu’un escroc trouve toujours des actionnaires, la Censure des défenseurs, l’Opéra-Comique des dilettanti, le Constitutionnel des abonnés, M. Carnot des peintres qui célèbrent sa triomphale et rigide entrée dans une cité languedocienne; je comprends M. Chantavoine s’obstinant à chercher des rimes; je comprends tout. Mais qu’un député, ou un sénateur, ou un président de République, ou n’importe lequel, parmi tous les étranges farceurs qui réclament une fonction élective, quelle qu’elle soit, trouve un électeur, c’est-à-dire l’être irrêvé, le martyr improbable, qui vous nourrit de son pain, vous vêt de sa laine, vous engraisse de sa chair, vous enrichit de son argent, avec la seule perspective de recevoir, en échange de ces prodigalités, des coups de trique sur la nuque, des coups de pied au derrière, quand ce n’est pas des coups de fusil dans la poitrine, en vérité, cela dépasse les notions déjà pas mal pessimistes que je m’étais faites jusqu’ici de la sottise humaine, en général, et de la sottise française en particulier, notre chère et immortelle sottise, ô chauvin!
Il est bien entendu que je parle ici de l’électeur averti, convaincu, de l’électeur théoricien, de celui qui s’imagine, le pauvre diable, faire acte de citoyen libre, étaler sa souveraineté, exprimer ses opinions, imposer — ô folie admirable et déconcertante — des programmes politiques et des revendications sociales; et non point de électeur « qui la connaît » et qui s’en moque, de celui qui ne voit dans « les résultats de sa toutepuissance » qu’une rigolade à la charcuterie monarchiste, ou une ribote au vin républicain. Sa souveraineté à celui-là, c’est de se pocharder aux frais du suffrage universel. Il est dans le vrai, car cela seul lui importe, et il n’a cure du reste. Il sait ce qu’il fait. Mais les autres?
Ah! oui, les autres! Les sérieux, les austères, les peuple souverain, ceux-là qui sentent une ivresse les gagner lorsqu’ils se regardent et se disent : « Je suis électeur! Rien ne se fait que par moi. Je suis la base de la société moderne. Par ma volonté, Floquet fait des lois auxquelles sont astreints trente-six millions d’hommes, et Baudry d’Asson aussi et Pierre Alype également. » Comment y en a-t-il encore de cet acabit? Comment, si entêtés, si orgueilleux, si paradoxaux qu’ils soient, n’ont-ils pas été, depuis longtemps, découragés et honteux de leur oeuvre? Comment peut-il arriver qu’il se rencontre quelque part, même dans le fond des landes perdues de la Bretagne, même dans les inaccessibles cavernes des Cévennes et des Pyrénées, un bonhomme assez stupide, assez déraisonnable, assez aveugle à ce qui se voit, assez sourd à ce qui se dit, pour voter bleu, blanc ou rouge, sans que rien l’y oblige, sans qu’on le paye ou sans qu’on le soûle? À quel sentiment baroque, à quelle mystérieuse suggestion peut bien obéir ce bipède pensant, doué d’une volonté, à ce qu’on prétend, et qui s’en va, fier de son droit, assuré qu’il accomplit un devoir, déposer dans une boîte électorale quelconque un quelconque bulletin, peu importe le nom qu’il ait écrit dessus?… Qu’est-ce qu’il doit bien se dire, en dedans de soi, qui justifie ou seulement qui explique cet acte extravagant? Qu’estce qu’il espère? Car enfin, pour consentir à se donner des maîtres avides qui le grugent et qui l’assomment, il faut qu’il se dise et qu’il espère quelque chose d’extraordinaire que nous ne soupçonnons pas. Il faut que, par de puissantes déviations cérébrales, les idées de député correspondent en lui à des idées de science, de justice, de dévouement, de travail et de probité; il faut que dans les noms seuls de Barbe et de Baïhaut, non moins que dans ceux de Rouvier et de Wilson, il découvre une magie spéciale et qu’il voie, au travers d’un mirage, fleurir et s’épanouir dans Vergoin et dans Hubbard des promesses de bonheur futur et de soulagement immédiat. Et c’est cela qui est véritablement effrayant. Rien ne lui sert de leçon, ni les comédies les plus burlesques, ni les plus sinistres tragédies.
Voilà pourtant de longs siècles que le monde dure, que les sociétés se déroulent et se succèdent, pareilles les unes aux autres, qu’un fait unique domine toutes les histoires: la protection aux grands, l’écrasement aux petits. Il ne peut arriver à comprendre qu’il n’a qu’une raison d’être historique, c’est de payer pour un tas de choses dont il ne jouira jamais, et de mourir pour des combinaisons politiques qui ne le regardent point.
Que lui importe que ce soit Pierre ou Jean qui lui demande son argent et qui lui prenne la vie, puisqu’il est obligé de se dépouiller de l’un, et de donner l’autre? Eh bien! non. Entre ses voleurs et ses bourreaux, il a des préférences, et il vote pour les plus rapaces et les plus féroces. Il a voté hier, il votera demain, il votera toujours. Les moutons vont à l’abattoir. Ils ne se disent rien, eux, et ils n’espèrent rien. Mais du moins ils ne votent pas pour le boucher qui les tuera, et pour le bourgeois qui les mangera. Plus bête que les bêtes, plus moutonnier que les moutons, l’électeur nomme son boucher et choisit son bourgeois. Il a fait des Révolutions pour conquérir ce droit.
Ô bon électeur, inexprimable imbécile, pauvre hère, si, au lieu de se laisser prendre aux rengaines absurdes que te débitent, chaque matin, pour un sou, les journaux grands ou petits, bleus ou noirs, blancs ou rouges, et qui sont payés pour avoir ta peau; si, au lieu de croire aux chimériques flatteries dont on caresse tavanité, dont on entoure ta lamentable souveraineté en guenilles, si, au lieu de t’arrêter, éternel badaud, devant les lourdes duperies des programmes; si tu lisais parfois, au coin de ton feu, Schopenhauer et Max Nordau, deux philosophes qui en savent long sur tes maîtres et sur toi, peut-être apprendrais-tu des choses étonnantes et utiles. Peut-être aussi, après les avoir lus, serais-tu moins empressé à revêtir ton air grave et ta belle redingote, à courir ensuite vers les urnes homicides où, quelque nom que tu mettes, tu mets d’avance le nom de ton plus mortel ennemi. Ils te diraient, en connaisseurs d’humanité, que la politique est un abominable mensonge, que tout y est à l’envers du bon sens, de la justice et du droit, et que tu n’as rien à y voir, toi dont le compte est réglé au grand livre des destinées humaines. Rêve après cela, si tu veux, des paradis de lumières et de parfums, des fraternités impossibles, des bonheurs irréels. C’est bon de rêver, et cela calme la souffrance. Mais ne mêle jamais l’homme à ton rêve, car là où est l’homme, là est la douleur, la haine et le meurtre. Surtout, souviens-toi que l’homme qui sollicite tes suffrages est, de ce fait, un malhonnête homme, parce qu’en échange de la situation et de la fortune où tu le pousses, il te promet un tas de choses merveilleuses qu’il ne te donnera pas et qu’il n’est pas, d’ailleurs, en son pouvoir de te donner.
L’homme que tu élèves ne représente ni ta misère, ni tes aspirations, ni rien de toi ; il ne représente que ses propres passions et ses propres intérêts, lesquels sont contraires aux tiens. Pour te réconforter et ranimer des espérances qui seraient vite déçues, ne va pas t’imaginer que le spectacle navrant auquel tu assistes aujourd’hui est particulier à une époque ou à un régime, et que cela passera. Toutes les époques se valent, et aussi tous les régimes, c’est-à-dire qu’ils ne valent rien. Donc, rentre chez toi, bonhomme, et fais la grève du suffrage universel. Tu n’as rien à perdre, je t’en réponds; et cela pourra t’amuser quelque temps. Sur le seuil de ta porte, fermée aux quémandeurs d’aumônes politiques, tu regarderas défiler la bagarre, en fumant silencieusement ta pipe. Et s’il existe, en un endroit ignoré, un honnête homme capable de te gouverner et de t’aimer, ne le regrette pas. Il serait trop jaloux de sa dignité pour se mêler à la lutte fangeuse des partis, trop fier pour tenir de toi un mandat que tu n’accordes jamais qu’à l’audace cynique, à l’insulte et au mensonge.
Je te l’ai dit, bonhomme, rentre chez toi et fais la grève.
Comme réponse à cette copie on ne peut que la copier.
Il ne faut pas forcément une grève générale. Est la réponse. Une grève tournante sera suffisante. Il sera un début. Ne pas voter pour la candidate sera un début. En se passant ainsi que partiellement de son droit de vote. Tout ce que vous récriminez contre la candidate Le Pen est tout à fait juste et pertinent. Pour cela ne pas voter pour elle sera suffisant, pour le début. Ainsi que Marine Le Pen représente la «négation du politique» du Front National.
Der Streik der Wähler und Wählerinnen
Wiener Rundschau. Vorbemerkung der Redaction. Dieser Aufsatz von Octave Mirbeau wurde während der letzten Wochen in Zehntausenden von Exemplaren durch ganz Frankreich colportirt. Vor den Neuwahlen rüsten sich in Frankreich nicht nur die Politiker, sondern auch die Antipolitiker. – Man wird diese unbedingte Negation der Politik bei uns vielleicht sehr unzeitgemäss finden, aber in Frankreich deuten so viele Anzeichen, unter Anderem dieses Manifest, auf die Ermattung des politischen Sinnes hin. Diese Erkaltung des politischen Interesses bedeutet vielleicht gleichzeitig eine Renaissance des religiösen Empfindens. Unter anderen Symptomen weist auf diese Entwicklung auch der Schluss der Mirbeau’schen Proclamation hin. D. R.
Etwas kommt mir sehr seltsam vor – ich wage nicht zu sagen, dass ich darüber bestürzt bin – dass nämlich heutzutage, in der Stunde, wo ich dies schreibe, nach den unzähligen Erfahrungen, nach den täglichen Scandalaffairen, in unserem »theuren« Vaterlande (wie man in der Budgetcommission zu sagen pflegt) noch ein Wähler, ein einziger Wähler existiren kann, ein so unberechenbares, unorganisches, verblendetes Thier, welches darin einwilligt, sich in seinen Geschäften, Träumen und Vergnügungen stören zu lassen, um zu Gunsten irgend eines Anderen für irgend etwas zu stimmen. Ist dieses überraschende Phänomen – wenn man nur einen Moment darüber nachdenkt – nicht darnach angethan, um die scharfsinnigsten Philosophien zu zerstören und alle Raison zu beschämen? Wo ist der Balzac, welcher uns die Physiologie des modernen Wählers gibt? Und der Charcot, welcher uns die Anatomie und den Geisteszustand dieses Unheilbaren aufdeckt?
Ich begreife, dass ein Hochstapler noch immer Actionäre findet, ich begreife, dass die Censur noch ihre Vertheidiger findet, ich begreife, dass historische Dramen geschrieben werden. – Aber dass ein Abgeordneter oder ein Senator oder ein Minister oder wer immer unter all den sonderbaren Hanswursten, die eine gewählte Function beanspruchen, einen Wähler findet, will sagen: ein so unglaubliches Wesen, einen so unwahrscheinlichen Märtyrer, welcher ihn von seinem Brod ernährt, von seiner Wolle kleidet, von seinem Fleisch mästet, mit seinem Geld bereichert, mit der einzigen Perspective, zum Dank für diese Verschwendung späterhin ignorirt oder mit höflichen Fusstritten bedacht zu werden – wahrhaftig, das überschreitet die pessimistischesten Begriffe, die ich mir bisher über die menschliche Dummheit gemacht habe!
Wohlverstanden, ich spreche hier vom aufrichtigen, überzeugten Wähler, vom theoretischen Wähler, von dem armen Teufel, welcher sich einbildet, die That des freien Bürgers zu vollbringen, seine Souveränität zu demonstriren, seiner Meinung Ausdruck zu geben, politische Programme und sociale Forderungen – o bewunderungswürdige und betrübende Narrheit! – durchzusetzen. – Nicht vom Wähler, der in sich diesen Sachen »auskennt« und darüber moquirt. Die Souveränität dieses »Wissenden« besteht darin, auf Kosten des allgemeinen Wahlrechtes zu wohlgefüllten Taschen zu kommen. Der ist hier in seinem wahren Element, für dieses eine Moment interessirt er sich aus Geschäftsinteresse, das Uebrige ist ihm gleichgiltig. Er weiss, was er will. Aber die Anderen?
Ach ja, die Anderen! Die Ernsthaften, die Unerbittlichen, die Herren »Souveränes Volk«, Jene, welche zu einer Art Trunkenheit kommen, wenn sie sich ansehen und sagen : »Ich bin Wähler. Nichts geschieht ohne mich. Ich bin die Grundlage der modernen Gesellschaft.« – Wieso existiren noch Leute von solcher Beschaffenheit? So eingenommen, so sicher, so paradox sind sie, wie kommt es, dass sie nicht entmuthigt werden, nicht beschämt vor ihrem Werke stehen? Wie kann es kommen, dass noch irgend ein guter Kerl, meinetwegen aus dem verstecktesten Gebirgsnest, so stupid, so unverständig, so blind und taub gegenüber den Thatsachen ist, um noch weiss oder schwarz, oder roth zu wählen, ohne bestochen, ohne betrunken worden zu sein?
Welchem wunderlichen Gefühl, welcher mysteriösen Suggestion muss dieser denkende Zweifüssler gehorchen, der von einem starken Willen getrieben ist, von dem man etwas verlangt und der es thut, stolz auf sein Recht, überzeugt, dass er eine Pflicht erfüllt, wenn er in eine Wahlurne irgend einen Zettel legt, was immer er auch darauf schreibt? …
Was muss er sich wohl innerlich sagen, wenn er sich diese extravagante Handlung rechtfertigt oder wenigstens klarmacht? Was erhofft er? Denn schliesslich, um einzuwilligen, dass er sich einigen geschwätzigen oder habgierigen Herren ausliefert, die ihn benützen und bedrücken, muss er sich doch irgend etwas sagen, irgend etwas erhoffen, was wir nicht vermuthen. Er muss irgend welchen cerebralen Verirrungen erliegen, der Gedanke »unser Abgeordneter« muss irgend welche Ideen von Wissen, Gerechtigkeit, Aufopferung, von Arbeit und Redlichkeit auslösen. Es muss wohl schon in den Namen von Kurz oder Sobotka, oder Doskozil oder wie sie anderswo heissen, ein specieller Zauber liegen. Eine Fata morgana muss wohl in diesen Namen liegen, Verheissungen künftigen Glücks und baldiger Heilung. Und das ist wirklich erschreckend. Nichts dient da zur Lehre, weder die burlesken Comödien noch die finsteren Tragödien des Parlamentarismus.
Und dennoch hat, so lange die Welt besteht, die Gesellschaften sich folgen und ablösen – eine gleicht der anderen -stets nur eine Thatsache die Geschichte beherrscht: Der Schutz der Grossen, die Zerschmetterung der Kleinen. Kann der naive »Mann aus dem Volke« nicht dahin kommen, zu verstehen, dass es nur eine Raison in der Weltgeschichte gibt, das ist: Sich opfern für eine Menge von Dingen, die er niemals geniessen wird, sich opfern für politische Combinationen, die auf ihn gar nicht achten.
Auch die Schafe gehen ins Schlachthaus, aber sie wählen wenigstens nicht den Schlächter, der sie tödten, den Bourgeois, der sie verzehren wird. Sie sagen nichts, sie hoffen nichts. Mehr Schaf als die Schafe, ernennt der Wähler seinen Schlächter und wählt seinen Bourgeois. Für dieses Recht hat er Revolutionen gemacht.
O Leser, unsagbarer Schwachkopf, armer Teufel, wenn Du statt den absurden Honigreden anzuhängen, welche Dir jeden Morgen für einen Cent in schwarzen oder weissen oder rothen Blättern verkauft werden, wenn Du, anstatt den eingebildeten Schmeicheleien, womit man Deine Eitelkeit verzärtelt, wo man vor Deiner jämmerlichen Souveränität auf den Füssen liegt, wenn Du Dich, statt in die unbeholfenen Betrügereien der Wahlprogramme vor Deinem Kamin in irgend einen ernsten Denker vertiefen würdest, vielleicht würdest Du da erstaunliche und nützlichere Dinge erfahren, vielleicht würdest Du dann weniger rasch Deinen schwarzen Gehrock und Deine würdevolle Miene aufsetzen, um zur verderblichen Wahlurne zu eilen, wo Du im Vorhinein – welchen Namen Du auch hineinlegst – die Dienste eines Anderen besorgst. Diese Denker würden Dir sagen, dass die Politik ein ungeheurer Schwindel ist, dass dort jede wahre Erregung verhöhnt, jede einfache Vernunft verlacht wird und dass Du dort gar nichts zu suchen hast, Du, dessen Rechnung im grossen Buch der menschlichen Geschicke besiegelt ist!
Träume danach, wenn Du willst, von lichtvollen Paradiesen, von unmöglichen Brüderlichkeiten, von unwirklichen Glückszuständen. Träumen thut wohl, es besänftigt das Leiden. Aber menge nie den Menschen in Deinen Traum, denn wo der Mensch in Action tritt, ersteht Schmerz, Hass, Mord. Erinnere Dich besonders, dass die Leute, welche um Deine Stimme ansuchen, unhonnete Leute sind, die mehr versprechen, als sie halten, als sie zu halten Macht haben. Der Mensch, den Du erhebst, repräsentirt nicht Dein Elend, nicht Deine Sehnsucht, nichts von Dir. Er repräsentirt nur seine eigenen Leidenschaften, seine eigenen Interessen, die den Deinen entgegengesezt sind. Also, kehre heim, guter Junge, und mache dem allgemeinen Wahlrecht Streik. Du hast nichts dabei zu verlieren, sage ich Dir, und vielleicht macht es Dir eine zeitlang Vergnügen. Auf der Schwelle Deines Hauses sitzend, das den politischen Hausirern verschlossen bleibt, lass das Gedränge an Dir vorbeidefiliren und rauche in Ruhe Deine Pfeife.
Und wenn in irgend einem verborgenen Winkel ein Mensch lebte, fähig, Dich zu leiten und zu lieben, lass Dir’s seinetwegen nicht leid thun. Er wäre auf seine Ehre zu eifersüchtig, um sich in den schmutzigen Streit der Parteien zu mengen, zu stolz, um von Dir ein Mandat zu verlangen, welches Du sonst der cynischen Grosssprecherei, der Beschimpfung und der Lüge gewährst.
Deshalb sag‘ ich Dir, mein Junge, kehre heim und streike!
Ach! Oh! Wie vieles muß besser werden, nicht nur im Straßenverkehr, auch in der Politik, im Gesellschaftlichen insgesamt, muß gedacht werden, während der Fahrt über das Land an diesem ersten Mai, am Beifahrersitz vertieft in den Essay des auf der Rückbank Schlafenden, vielleicht auch erschöpft von seinen Erzählungen über die Fauna der Landstraßen … muß wieder einmal gedacht werden, wie vieles muß, alles muß besser werden, die Zuversicht darf nicht aufgegeben werden, die Menschen werden sich ändern, sie haben das Potential dazu … einst werden sie nicht mehr freiwillig in das Schlachthaus gehen und freiwillig ihre Schlächterin wählen, wie die armen Schafe, die je nicht freiwillig in das Schlachthaus gehen, noch ihren Schlächter wählen.
Im Verkehr der Radfahrer, der Hengst, die Radfahrerin, die Stute
Um nicht Täuschungen über den Fortschritt des Menschen zu erliegen, ist es von Zeit zu Zeit nützlich, besonders an einem ersten Mai, mit einem Menschen im Automobil mitzufahren und dabei von ihm erzählen zu lassen, wie es auf den Straßen zugeht, der die Fauna der Landstraßen von seinen vielen Reisen bestens kennt …
Und während er beim Fahren über das Land diesmal vom Menschen auf dem Fahrrad erzählt, löst sich wieder einmal rasch die Täuschung auf, bereits in einer anderen Zeit zu leben, als in der, von der erzählt wird.
Sobald sich ein Mensch – und sei es auch der bezauberndste Mensch der Welt – auf ein Fahrrad schwingt, kann man sagen, daß er allein aufgrund dieses Umstandes zu einem Pferd mit all den behindernden und verrückten Kapricen, Sottisen und Kapriolen, mit all den tödlichen Gefahren des Pferdes wird … aber um wie vieles gefährlicher! Zu den Gefährlichkeiten des Pferdes, die er sich zu eigen macht, kommen beim Radfahrer noch persönlich hinzu, die aus dem Grunde konsekriert, legalisiert und unantastbar zu sind, weil er neben dem Pferd, zu dem er geworden ist, in den meisten Fällen auch ein Wähler ist … Kraft dieses Privilegs ordnet er sich niemals unter … Ist es nicht souverän, dieses Tier? Gehört ihm nicht alles? … Die Landstraße, das politische Schicksal des Abgeordneten, den er ernennt, die Mehrheit der Regierung, die er unterstützt? …. Ebensowenig wie den Schankwirt, der gläschenweise Krankheit und Tod kredenzt und auf dessen Schultern das gesamte Gesellschaftssystem ruht, darf man den Radfahrer belästigen. In seiner schikanierenden Wichtigkeit, der aggressiven Ausstrahlung seiner Würde gibt er immer allen anderen, den Fußgängern, den Fuhrwerken, den Autos,, den Tieren die Schuld … Er ist der Herr, der einzige Herr der Straße … Direkt vor der Motorhaube sieht man ihn wie er, die Hände in den Hosentaschen, die Mütze tief ins Genick geschoben, seine Brust- und Beinmuskeln spielen läßt oder zum Spaß Kurven Spiralen und Zickzack fährt, kurzum: lauter sinnlose und belästigende Aktionen vollführt, bei denen es ihm wie dem Hund passieren kann, daß er unter die Räder stürzt … Und dann bekommen Sie tausend Scherereien, die Sie ganze Monate Gefängnis und enormen Schadenersatz kostet.
Vor nicht allzu langer Zeit überhäufte man den Radfahrer mit all den Verwünschungen, mit denen man heute den Autofahrer überhäuft … daher müßte es zwischen ihnen eigentlich eine Art Brüderlichkeit, eine Solidarität der Landstraße geben. Aber der Radfahrer ist zum schlimmsten Feind des Autofahrers geworden. Er verbündet sich mit dem Haß des Bauern und entfesselt ihn bei Bedarf. Ich habe schon welche gesehen, die unbekümmert große Nägel vor ein Auto streuten und wiehernd lachten, wenn sie einen Reifen platzen hörten.
Je weiter ich im Leben voranschreite, desto klarer sehe ich, daß jeder eines jeden Feind ist. In den Augen zweier Menschen die einander begegnen, glüht die gleiche Begierde: die Begierde, sich gegenseitig umzubringen. Mag unser Optimismus auch Gesetze sozialer Gerechtigkeit und Menschenliebe erfunden haben, mögen auf die Monarchien auch Demokratien gefolgt, mögen an die Stelle Republiken auch Anarchien getreten sein, so wird doch, solange es auf Erden Menschen gibt, das Gesetz des Mordens in ihren Gesellschaften in gleichem Maße herrschen, wie es in der Natur dominiert. Es ist das einzige, das imstande ist, die Begierden zu befrieden, zwischen den verschiedenen Interessen zu entscheiden.
Aber ein einzelner Radfahrer – so bösartig er auch sein mag – ist nichts im Vergleich zu einer ganzen Horde von Radfahrern. Sobald diese die Landstraße beherrschen, ist es aus für Fußgänger, Fuhrwerke und Autos … Dann kann man nur noch nach Hause fahren …
Wieviel lieber ist mit da die Dreschmaschine, die die Landstraßen des Mostviertels versperrt, wieviel lieber sind mir da die zweitausend Schafe in der Ochsenschluchtklamm!
In Piber hat man mir den Wahlspruch der kaiserlichen Bereiter verraten: „Zuerst kommt Gott Vater … Dann kommt der Spanische Hofbereiteroffizier … Dann kommt das Pferd des Spanischen Hofbereitersoffiziers. Und danach kommt nichts …“
Hier folgt eine lange Aufzählung von Punkten. Dann fährt der Wahlspruch fort:
„Und dann kommt nichts … Und dann kommt immer noch nichts … Und dann kommt der Spanische Hofbereiter …“
Um die Tiere der Landstraße in der Rangfolge ihrer Meriten zu klassifizieren, schlage ich das folgende Sprichwort vor:
„Zuerst kommt Mutter Gans … Dann kommt die Ente … Dann kommt der Esel und das Maultier … Dann kommt das Schwein … Und danach kommt nichts … Und dann kommt immer noch nichts …“
Hier folgt eine lange Aufzählung von Punkten …
„Dann kommt die Kuh … Dann kommt der Hund … Dann kommt der Herr des Hundes …“
Dann weitere Punkte …
„Dann kommt das Huhn … Dann das Pferd … Dann kommt der Fuhrkutscher … Und dann kommt nichts ….“
Wieder eine endlose Folge von Punkten …
„Und dann kommt der Radfahrer!“
Dann kommt der Radfahrer … Das ist klar …
Aber da ist auch noch der Autofahrer …
So spannend und lustig er auch bitter zu erzählen weiß, wie es auf den Straßen zugeht, muß doch eingestanden werden, es wird ihm nicht lange mit der größten Aufmerksamkeit zugehört, denn allmählich gewinnt das Träumen über eine erhoffte Zeit, in der es anders sein wird, daß es einst besser …
Warum Thomas Bernhard in seiner Sterbeminute schon zum Klassiker wurde, Octave Mirbeau aber sofort mit seinem Tod für Jahrzehnte in den Giftschrank kam
Es soll nicht ungerecht gegen Thomas Bernhard gesprochen werden. Es war immer ein Spaß. Es war immer eine Gaude, eine Hetz. Als er lebte. Seine Interviews im Fernsehen. Wer zählte diese nicht zu den Sternstunden des Fernsehens. Freilich, im Fernsehen …
Seit er, Bernhard, nicht mehr lebt, ist es vorbei mit dem Spaß, ist es vorbei mit der Gaude, mit der Hetz. Freilich, was geblieben gibt, was bleibt, ist die Schimpferei, das recht konservative und alles wie es je war stützende und verteidigende Granteln von seinen Zeitgenossen und Zeitgenossinnen, die heute ins Facebook zur Wirtin Unzensurierta gehen, wenn es sie zu ihrem Stammtisch treibt, sie ihren Harmdrang zum Ausspeien nicht mehr zurückhalten … Was es noch gibt, ist sein Werk, das verblaßt, schal und kenntlich in seinem Konservatismus, in seiner Abschreibe und in seiner Nachschreibe. Es langweilt, ganz ohne Fernsehbegleitung. Nicht alle noch, vor allem für die ehrenwerte Lodentrachtjagdgesellschaft auf dem österreichischen Lande ist sein Werk kurzweilig und seine Wiederholungen so passend zu ihren Leben in ihren Wiederholungen, mit dem sie sich auch ein wenig rebellisch empfinden dürfen, freilich österreichisch rebellisch. Eine Rebellion, die sich darin erschöpft, am Sonntag in der Kirchenbank während der Predigt bemerkbar zu flüstern, und dies schon als Revolte gegen den Herrn Pfarrer …
So wird es verständlich, weshalb Thomas Bernhard, kaum daß er tot war, zum Klassiker wurde, freilich zum österreichischen Klassiker. Zugleich wird verständlich, weshalb Octave Mirbeau, kaum daß er tot war, für Jahrzehnte in den Giftschrank gesperrt wurde.
Octave Mirbeau schaffte es punktgenau, daß sein Todestag genau auf seinen Geburtstag fiel. Thomas Bernhard nicht, er verfehlte diesen um drei Tage. Vielleicht wollte Thomas Bernhard den gleichen Todestag wie sein geliebter und unlesbarer Großvater. Auch das schaffte er nicht, er verfehlte diesen um einen Tag.
Und was alles Octave Mirbeau noch schaffte, lange vor Thomas Bernhard, und was Thomas Bernhard nachschaffte, freilich nur in der konservativsten Weise … die Übertreibung, die Beschimpfungen von Städten und Ländern und so weiter.
Octave Mirbeau, der „rote Millionär“, Thomas Bernhard, der Landwirt aus dem Oberösterreichischen … auch das macht verständlich, weshalb Thomas Bernhard sofort ein Klassiker werden konnte, eben ein österreichischer Landwirteklassiker.
Octave Mirbeau war auch ein äußerst erfolgreicher Bühnenschriftsteller. Und wird an Thomas Bernhard als Bühnenschriftsteller gedacht, befällt doch der Verdacht, es muß an seinen Stücken liegen, daß ein Schauspieler des deutschen reiches diese dermaßen hervorragend zu spielen verstand, sich so außerordentlich wohl fühlte in den bernhardschen Figuren. Es will nicht ungerecht gegen Bernhard Minetti gesprochen werden. Wer amüsierte sich nicht köstlich bei seinen bernhardschen Spielereien. Noch heute wird gerne das eine oder andere Stück mit Minetti hervorgeholt, um ihn sprechen zu hören. Freilich auf die bernhardschen Worte wird dabei nicht mehr gehört.
Octave Mirbeau war ein Autofahrer. Thomas Bernhard war ein Autofahrer. In einem Charron war Mirbeau unterwegs, in einem „tannengrünen Mercedes“ Thomas Bernhard. Das macht auch verständlich, weshalb er, kaum daß er tot war, zum österreichischen Klassiker erhoben wurde. Wer verdiente in diesem konservativen Land mehr, zum Klassiker gemacht zu werden, als einer aus der konservativsten Tiefe des Landes: der Landwirt mit seinem grünen, also mit seinem Trachtenlodenmercedes. Wer das Werk von Octave Mirbeau kennt, wird es verstehen, daß die Entscheidung, wenn je eine notwendig war, längst gefällt wurde: niemals in einen Trachtenlodenmercedes einzusteigen, aber immer in den Charron mit dem Kennzeichen 628-E 8. Dazu fällt ein. Thomas Bernhard sprach davon, er sei ein Geschichtenzertrümmerer. Das paßt zu einem Nebenerwerbslandwirten: das Kleinhäuslerische.
Wie verdreckt für Thomas Bernhard die Toiletten von Wien doch waren, für Octave Mirbeau waren die Toiletten des ganzen und ungleich größeren Landes verdreckt. Bernhard wußte über Wien nichts anderes zu sagen, als Mirbeau über Frankreich sagte. Und das ist ein Verdienst von ihm, Bernhard, auch mit ihm sagen zu können, wie töricht es von Menschen ist, auf nationale Unterschiede zu pochen, stolz darauf zu sein, wie besonders und einzigartig ihre Nationen doch wären, während über ihre Heimaten stets nur dasselbe gesagt werden kann, verdreckte Toiletten in der einen Nation, verdreckte Toiletten in der anderen Nation.
Das Kleinhäuslerische. War Thomas Bernhard gemein zu dem kleinen Tonsetzer aus dem kleinen Maria Saal, so war Octave Mirbeau zum großen Balzac aus dem großen Paris … Freilich, es kann nicht Bernhard angelastet werden, daß er sein Mütchen gefahrlos an einem sozialistischen Höhensonnenkönig … die Zeit der Monarchien war vorbei, und es ist nicht das Verdienst von Mirbeau, daß er eine mehrjährige Gefängnisstrafe riskierte, weil er über einen Kaiser …
Octave Mirbeau zerstörte groß, also gleich den Roman.
Nur wer in Österreich geboren ist, in Österreich aufgewachsen ist, die Fernsehgaude mit Thomas Bernhard miterlebt hat, wird töricht ausrufen können, beim Lesen des ersten Satzes von „Diese verdammte Hand“: Das ist Bernhard. Nein. Das ist Mirbeau. Nur in Österreich kann zu Mirbeau Bernhard einfallen, den Österreich als Klassiker braucht, um zu bleiben, was es ist, ein Land des Konservatismus bis hin zu noch Schlimmeren. Aber Österreich bräuchte einen Mirbeau. Wenn an die Malerei in Österreich gedacht wird, kommt es zwangsläufig, österreichischen Malerinnen und Malern zu empfehlen, „Diese verdammte Hand“ zu lesen. Es ist keine Empfehlung, daß sie sich ebenfalls die Hand abhacken. Das wäre eine zu große Geste, eine, die den Großen vorbehalten ist, etwa einem Vincent van Gogh, der wohl Modell war für den Maler in diesem Buch, und von dem Mirbeau zwei Bilder kaufte, als … zwei Bilder, die heute zu den teuersten … und dann gibt es von Thomas Bernhard einen Roman mit einem Maler, für den, also den Roman, Modell war … die Landwirte in Österreich werden den bernhardschen Titel wissen … Es ist also keine Empfehlung, die Hand …, aber schlicht und ruhig auf…
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