500 Jahre Sebastian Castellio – Europa nicht vergenfern lassen!

500 Jahre Manifest der Toleranz

Vor 85 Jahren, das wird 2021 sein, schreibt Stefan Zweig in seinem „Castellio“, was es alles nicht gegeben hätte, wenn die Calvins die letzten fünfhundert Jahre totalitär bestimmt hätten.

Und daran ist zu erinnern. Anregung für die notwendigen Aktivjahre der Toleranz, wie geschrieben im Kapitel:

Aktivjahre der Toleranz statt einem Gedenkjahr.

Stefan Zweig schreibt seinen „Castellio“ als ein deutliches Zeichen gegen die Calvins seiner Zeit, sein „Castellio“ ein einziger Warnruf an die Menschen seiner Gegenwart: Deutschland, Österreich nicht zu einem Genf verkommen zu lassen. Und was Stefan Zweig als Warnbuch für seine Zeit verfaßt, braucht nur wiederholt zu werden, in diesem Europa des Jahres 2018, in dieser Welt des 21. Jahrhunderts.

Europa nicht wieder zu einem Genf verkommen zu lassen.

Es ist menschgemäß bitter, diesen Warnruf von Stefan Zweig wiederholen zu müssen, Europa nicht wieder zu einem Genf verkommen zu lassen, im 21. Jahrhundert weiter daran erinnern zu müssen, daß die Calvins durch die Jahrhunderte nichts zum humanen Fortschritt beigetragen haben, und wie unverständlich, daß diesen Calvins nach wie vor Jubiläen ausgerichtet werden.

Wie bitter, immer wieder und nach wie vor werden Calvins geboren, irgendwo und überall auf dieser Welt, und das tatsächlich Bittere daran ist, es finden sich immer wieder und nach wie vor Menschen, irgendwo und überall auf dieser Welt, die bereit sind, diesen Calvins zu folgen, wie auch immer die Calvins ihrer Zeit heißen mögen. Und was die Calvins mit ihrem Terroranleitungsbuch Koran vor bald fünfhundert Jahren aus Genf machten, wollte auf Punkt und Beistrich genau etwa ein Abu Bakr al-Baghdadi in einem anderen Teil der Welt im einundzwanzigsten Jahrhundert machen. Aber wie es den Calvins in Europa nicht gelang, gelingt es auch den Baghdadis mit ihrem Terroranleitungsbuch Bibel nicht, die Welt auf immer, für Jahrhunderte zu einem Genf verkommen zu lassen.

Es ist tröstlich, und es stimmt zuversichtlich, daß den Baghdadis stets nur für kurze Zeit es gelingt, ihre mörderischen Regime zu halten. Stets nur kurz ihren Auslöschungsdurst zu stillen, immer nur kurz ihren Hunger nach Trümmern zu sättigen.

Das einundzwanzigste Jahrhundert aber sollte endlich zu einem ersten Jahrhundert werden, es muß endlich zu einem werden, in dem nicht wieder und wieder die von diesen nur von Zerstörung und Blutdurst Besessenen hinterlassenen Trümmer weggeräumt werden müssen, nach ihnen nicht wieder und wieder aufgeräumt werden muß, nach ihnen nicht wieder und wieder von Neuem begonnen werden muß, mit dem Aufbau in jedweder Hinsicht: wirtschaftlich, moralisch, ethisch.

Deshalb ist es notwendig zu erinnern, nicht an die barbarischen Taten dieser Abu Calvins, sondern daran, was Stefan Zweig vor 85 Jahren in seinem „Castellio“ zur Aufzählung bringt, das den Menschen wahrer Fortschritt war und je nur sein kann, verpflichtet keinem Gesinnungsterroranleitungsbuch, sondern getragen von der humanen und einzigen tragfähigen Idee der Toleranz, vereidigt auf das einzige Leitwort, dem der Mensch zu folgen sich erlauben darf: dem Leitwort Toleranz.

Dieses Warnbuch, von Stefan Zweig vor 85 Jahren, das wird 2020 sein, begonnen, sollte, muß breit gelesen werden und breit zitiert und breit besprochen werden, und nicht weiter breit darf Stefan Zweig mißbraucht werden mit seinem Titel „Die Welt von gestern“,

Gegen die Welt von gestern

Auf einer Wiese am Teich bei Eisenstadt

Als wär’s ein Lied von Wolf – Stille Sicherheit

Migration ist des Menschen Heimat

Wie verführerisch schön das Plattschäbige zu klingeln vermag

mit dem bloß raunende Beschwörung der Vergangenheit passiert, in der kein Mensch, ist er einigermaßen bei Verstand, je zu leben gewillt sein kann.

Die Welt nicht vergenfern lassen

Nicht aus den Jahrhunderten die Männer und Frauen des Zerstörens, des Mordens, des Terrors weiter zu preisen, sondern was unter dem Leitwort Toleranz geschaffen wurde, wie es Stefan Zweig so eindrücklich in seinem vor bald 85 Jahren beendeten und veröffentlichten Buch beschreibt:

Atemberaubend, es sich innerlich auszudenken, das siebzehnte, das achtzehnte, das neunzehnte Jahrhundert Europas ohne Musik, ohne Maler, ohne Theater, ohne Tanz, ohne seine üppige Architektur, ohne seine Feste, seine verfeinerte Erotik, sein Raffinement der Geselligkeit!

Nur kahle Kirchen und strenge Predigten als Erbauung – nur Zucht und Demut und Gottesfürchtigkeit! Die Kunst, dieses Gotteslicht in unserem dumpfen und dunklen Werktag, hätten die Prädikanten als „sündige“ Schwelgerei, als Lustmacherei, als „paillardise“ uns verboten, ein Rembrandt wäre Müllerknecht geblieben, Molière ein Tapezierer oder Bedienter. 

Die üppigen Bilder Rubens‘ hätten sie entsetzt verbrannt und vielleicht ihn selber dazu, einen Mozart verhindert an seiner heiligen Heiterkeit, einen Beethoven erniedrigt zur Vertonung von Psalmengesang!

Shelley, Goethe und Keats – könnte man sie sich vorstellen unter dem „placet“ und „imprimatur“ frommer Konsistorien? 

Einen Kant, einen Nietzsche ihre Denkwelt aufbaund im Schatten der „Disziplin“?

Nie hätten Verschwendung und Verwegenheit bildnerischen Geistes sich zu so denkwürdiger Pracht versteinern dürfen wie in Versailles und im römischen Barock, nie in Mode und Tanz sich die zarten Farbenspiele des Rokoko entfalten können; verkümmert wäre in theologischer Rabulistik der europäische Geist, statt sich in schöpferischem Wandel zu entfalten. Denn unfruchtbar und unschöpferisch bleibt die Welt, wenn nicht getränkt und gefördert durch Freiheit und Freude, und immer erfrostet das Leben in jedem starren System. 

Glücklicherweise hat Europa sich nicht disziplinieren, nicht puritanisieren, nicht vergenfern lassen. Wie gegen alle Versuche, die Welt in ein einziges System zu kasernieren, hat auch diesmal der Lebenswille, der ewige Erneuerung begehrt, seine unwiderstehliche Gegenkraft eingesetzt. Nur in einem kleinen Teil Europas ist die calvinistische Offensive siegreich vorgestoßen, aber selbst, wo sie zur Herrschaft gelangte, hat sie bald freiwillig ihr buchstabenstrenges Bibeldiktat abgetan. 

Keinem Staate hat die Dauer Calvins Theokratie ihre Allmacht aufzwingen können, und vor dem Widerstand der Realität mildert und humanisiert sich bald nach seinem Tod die Lebensfeindlichkeit, die Kunstfeindlichkeit der einstmals unerbittlichen „Disziplin“.

Denn immer ist auf die Dauer das sinnliche Leben stärker als jede Starre, es lockert jede Strenge, es mildert jede Härte. Wie ein Muskel nicht ununterbrochen in äußerster Spannung gekrampft bleiben, wie eine Leidenschaft nicht ständig in Weißglut verharren kann, so vermögen auch die geistigen Diktaturen niemals dauernd ihren rücksichtslosen Radikalismus zu bewahren: meist ist es nur eine einzige Generation, die ihren Überdruck schmerzhaft zu erleiden hat.

Damit ist das Kapitel „Die Pole berühren einander“ aus dem „Castillio“ noch nicht gänzlich zitiert.

Morgen aber ist auch noch ein Tag.

Stefan Zweig hat nicht mehr das gesamte zwanzigste Jahrhundert erlebt. 2017 waren es 75 Jahre her, daß er sich das Leben nahm, im Angesicht der Massenmordterrorherrschaft, er mit seinen dauernden Schriften den Calvins zuschreibenden Männern und Frauen weichen mußte, deren Zeit aber schon drei Jahre später wieder vorbei war, und sie nichts anderes mehr tun konnten, als das, was als einzige gute Tat solche Gesinnungsmenschen stets nur vollbringen können, zum letzten Mal einen Wein zu heben … und sich dann selbst zu morden.

Gewiß aber hätte er, Stefan Zweig, in seine Aufzählung auch das zwanzigste Jahrhundert miteingeschlossen, und so als Abschluß für diesen Tag mit größtem Respekt und größter Hochachtung seinen Satz aufnehmend und erweiternd …

Atemberaubend, es sich innerlich auszudenken, das siebzehnte, das achtzehnte, das neunzehnte Jahrhundert, das zwanzigste Jahrhundert, und die kommende Zeit der Welt ohne Musik, ohne Malerinnen, ohne Theater, ohne Tanz, ohne seine üppige Architektur, ohne seine Feste, seine verfeinerte Erotik, sein Raffinement der Geselligkeit!

Europa nicht vergenfern

Aktivjahre der Toleranz statt einem Gedenkjahr

 

Jubiläum 465 Jahre Manifest der ToleranzWas kann am ersten Tag des „Gedenkjahres 2018“ geschrieben werden?

Nieder mit dem Gedenkjahr 2018!

Herbei mit dem Aktivjahr 2018!

Mit einem Aktivjahr wird es nicht getan sein. Deshalb ab dem ersten Tage des Jahres 2018 muß der Ruf erschallen:

Herbei mit Aktivjahren!

Und nichts eignet sich für das Ausrufen der Aktivjahre in Österreich, und nicht nur in Österreich, mehr als zu erinnern an 465 Jahre „Manifest der Toleranz“.

2021 werden 85 Jahre vergangen sein seit der Veröffentlichung von „Castellio gegen Calvin – Ein Gewissen gegen die Gewalt“. 1936 wurde dieses Buch veröffentlicht von Stefan Zweig, der in den Abgrund seiner Zeit schaut, in dem sich die Calvins seiner Zeit bedrohlich vermehren, mit Eiseskälte marschieren, um ihre Brandstöße anzuzünden. Abermillionen von Menschen zu morden. Dem voranging die schon von Blutgier ergriffene sprachlich vollzogene Zerstörung, die nach Millionen von Blutopfern schreiende Auslöschung jedweder Toleranz.

Vor bald 85 Jahren wußte Stefan Zweig um die lebensnotwendige Erinnerung an Sebastian Castellio, der vor 465 Jahren sein „Manifest der Toleranz“ gegen die Calvins seiner Zeit schrieb.

2018 werden 455 Jahre vergangen sein. 1563 starb Sebastian Castellio, ehe es den Calvins seiner Zeit gelang, ihn ebenfalls auf den Scheiterhaufen zu bringen, wie 1553, also vor 465 Jahren, Miguel Servet.

Es widerstrebt Stefan Zweig, ausführlich zu beschreiben, mit welcher Blutrünstigkeit die Calvins, mit welch einer ihnen von ihrem Gott eingegebenen Perversion sie Servet grausamst ermordeten, und es widerstrebt, dies zu zitieren, aber, es muß, denn nie darf vergessen werden, immer muß vor Augen geführt sein, zu was für Schandtaten, zu welchen Morden Calvins jedweder Zeit fähig sind, zu welch widerwärtigen Handlungen gegen die Menschlichkeit die Calvins zu allen Zeiten in jedweder Zeit fähig sind, ob vor 465 Jahren oder erst gestern, heute und morgen wieder und übermorgen weiter. Der Mord an Servet das ewige Logo der Calvins:

„Der Tod am Brandpfahl durch langsames Rösten bei kleinem Feuer ist die martervollste alle Hinrichtungsrichtungen; selbst das als grausam berüchtigte Mittelalter hat sie nur in den seltensten Fällen in ihrer ganzen grauenhaften Langwierigkeit angewendet; meist wurden die Verurteilten noch vorher an dem Pfahle erdrosselt oder betäubt. Gerade diese scheußlichste, diese fürchterlichste Todesart aber ist für das erste Ketzeropfer des Protestantismus vorgesehen[.]“

Es darf nicht vergessen werden. Bei diesem Mord an Servet ging es nur um eine „Meinungsverschiedenheit“. Die blutrünstigen Calvins seiner Zeit ertrugen die Meinung von Servet nicht, seine Meinung zu Teilen eines Buches. Sie konnten keine Toleranz aufbringen. Wie auch. Verblendet von ihrer eigenen Meinung über dasselbe Buch, wohl auch schon blutdurstig, kannten sie keine Toleranz, nicht einmal „Gnade“, ein Wort, das in diesem Buch, ist zu hören, oft und oft vorkommen soll, in diesem Buch, das unstillbaren Durst auf Blut macht, auf tatsächliches Blut, auf wirkliches Menschenblut.

Das alles ist im vor bald 85 Jahren geschriebenen „Castellio“ von Stefan Zweig genauestens aufgezeigt, all die Perfidie der Calvins, all die Heimtücke der Calvins, die Mordlüste, all die Lügen, all die Verleumdungen, all die Diffamierungen, all die uneingeschränkte Geilheit auf die totale Macht … und Zweig schreibt es im Angesicht der Calvins seiner Zeit in Deutschland, in Österreich …

Und er, Zweig, legt den Calvins seiner Zeit seinen „Castellio“ vor die Augen, das „Manifest der Toleranz“, das heute mehr denn je, wieder einmal, not zu lesen ist, damit es zu Aktivjahren führt, in Österreich, nicht nur in Österreich, aber vor allem in Österreich …

Wie im Kapitel

Jubiläum 465 Jahre – Erster Scheiterhaufen der Reformation

bereits eindringlich gebeten, es ist der gesamte „Castellio“ zu lesen, um zu wissen, mit wem es Menschen zu tun kriegen, wenn in ihrer Zeit Calvins auftreten, vor Wahlen besonders geschmückt mit Wörtern wie „Gerechtigkeit“, „Nächstenliebe“ und so weiter.

Und Zweig schreibt in seinem „Castllio“ oft, und das sehr bewußt, von „Parteimenschen“, wie auch anders gar nicht möglich, mit seiner Gegenwart vor Augen, mit den Einheitsparteien in Deutschland, in Österreich … er führt deutlich aus, in welchen Abgrund, immer wieder in Untergänge geführt wird, wenn solche Parteien mit Hinterlist und Heimtücke, mit verborgenen und zugleich doch immer offensichtlichen „Kriegsplänen“ es schaffen, in politische Gremien gewählt zu werden, um schließlich zur Elendsvermehrung von allen politische Gremium mit ihrer Machtkälte zu dominieren, die politischen Gremien zu mißbrauchen, zu stillen ihren nie zu stillenden Blutdurst, ihren nie zu sättigenden Machthunger.

All das Widerwärtige, all das Grausame durch die Jahrhunderte bis zum heutigen Tage darf nicht vergessen werden. Um dagegen sich zu immunisieren, die falschen Parteientöne zu hören, aufzeigen zu können, daß es zwar Töne sind, aber absolut falsche Töne, und es nur falsche Töne sein können, weil diesen Parteimenschen ihre Falschheit ihre Kompositionshand führt, und diese ihre Kompositionshände sind keine Kompositionshände, sondern Fäuste, und mit Fäusten kann kein Menschenwerk geschaffen, sondern nur zerstört, immer wieder nur das vernichtet werden, was dem Menschen an Gutem bereits gelang.

Wie schöpferisch hingegen, wie zur Preisung des Menschen hingegen die offene Hand der Toleranz, wie beweglich hingegen die offene Hand der Toleranz.

Deshalb noch einmal:

Nieder mit dem Gedenkjahr 2018!

Nieder mit Gedenkjahren!

Dafür aber ab dem ersten Tage des Jahres 2018:

Herbei mit den Aktivjahren der Toleranz!

Und das Schönste aus dem „Castellio“ muß zitiert werden. Denn es ist Hoffnung dabei, es ist Zuversicht dabei, und es geschichtliche Bestätigung dabei, daß die Calvins welcher Zeit auch immer niemals lange ihr blutdurstiges Unwesen treiben können.

Der Kampf scheint zu Ende. Mit Castellio hat Calvin den einzigen geistigen Gegner von Rang beseitigt, und da er gleichzeitig in Genf die politischen Widersacher zum Schweigen gebracht hat, kann er nun unbehindert sein Werk in immer größeren Ausmaßen fortgestalten. Haben Diktaturen die unausbleiblichen Krisen ihres Anbeginnes einmal überwunden, so dürfen sie im allgemeinen für einige Zeit als gefestigt gelten; wie der Organismus des Menschen sich klimatischen Umstellungen und veränderten Lebensumständen nach anfänglichem Unbehagen schließlich angepaßt, so gewöhnen sich auch die Völker erstaunlich bald an neue Formen der Herrschaft.

Das ist wesentlich, das muß für Aktivjahre Leitsatz sein: Keine Gewöhnung an neue Formen der Herrschaft.

Nach einiger Frist beginnt die alte Generation, die verbittert eine gewalttätige Gegenwart mit der geliebteren Vergangenheit vergleicht, wegzusterben, und hinter ihr ist indes schon in der neuen Tradition eine Jugend herangewachsen, welche diese neuen Ideale mit ahnungsloser Selbstverständlichkeit als die einzig möglichen hinnimmt. Immer kann im Laufe einer Generation ein Volk durch eine Idee entscheidend verwandelt werden, und so hat sich auch Calvins Gottesgebot nach zwei Jahrzehnten aus theologischer Denksubstanz zu einer sinnlich sichtbaren Daseinsform verdichtet. 

Das ist wesentlich, das muß für Aktivjahre Leitsatz sein: Verpflichtung der Jugend, nicht ahnungslos zu sein, nicht unhinterfragt eine Tradition hinzunehmen, die nicht einmal so alt ist, wie sie selber. Nicht ungeprüft Ideale anzunehmen, aus deren Falten – bei genauem Hinsehen – unentwegt Opferblut tröpfelt.

Gerechtigkeit muß nun diesem genialen Organisator zuerkennen, daß er nach dem Siege mit großartiger Planhaftigkeit sein System aus der Enge ins Weite geführt und allmählich ins Welthafte ausgebaut hat. Eiserne Ordnung macht Genf im Sinne der äußeren Lebenshaltung zu einer Musterstadt; aus allen Ländern pilgern die Reformierten nach dem „protestantischem Rom“, um hier die vorbildliche Durchführung des theokratischen Regimes zu bewundern. Was straffe Zucht und spartanische Ertüchtigung zu vollbringen vermögen, ist restlos erreicht; zwar ist die schöpferische Vielfalt zugunsten nüchternster Monotonie hingeopfert und die Freude einer mathematisch kalten Korrektheit, aber dafür ist die Erziehung selbst zu einer Art Kunst gesteigert. Tadellos sind alle Lehrinstitute, alle Wohlfahrtsanstalten geführt, der Wissenschaft wird weitester Raum gewährt, und mit der Gründung der „Akademie“ schafft Calvin nicht nur die erste geistige Zentrale des Protestantismus, sondern zugleich auch den Gegenpol wider den Jesuitenorden seines einstigen Kameraden Loyola: logische Disziplin gegen Disziplin, gehärteter Wille gegen Willen.

Ausgerüstet mit vortrefflichem theologischen Rüstzeug, werden von hier die Prädikanten und Agitatoren der calvinischen Lehre nach genau errechnetem Kriegsplan in die Welt entsandt. Denn längst denkt Calvin nicht mehr daran, seine Macht und Idee auf diese eine kleine Schweizer Stadt zu beschränken, über Länder und Meere greift sein unbezähmbarer Herrschwille, um allmählich ganz Europa, die ganze Welt seinem totalitärem System zu gewinnen. Schon ist Schottland durch seinen Legaten John Knox ihm untertan, schon sind Holland und teilweise die nordischen Reiche von puritanischem Geiste durchdrungen, schon rüsten die Hugenotten in Frankreich zu entscheidendem Schlag: ein einziger glückhafter Schritt noch, und die „Institutio“ wäre zur Weltinstitution geworden, der Calvinismus die einheitliche Denk- und Lebensform der abendländischen Welt.

Wie entscheidend eine solche siegreiche Durchsetzung der calvinistischen Lehre die Kulturform Europas verändert hätte, vermag man zu ermessen an der besonderen Struktur, die der Calvinismus den ihm ergebenen Ländern schon in kürzerster Zeit aufgeprägt hat. Überall, wo die Genfer Kirche ihr sittlich-religiöses Diktat – und wenn auch für eine Spanne Zeit – verwirklichen konnte, ist innerhalb der allgemein nationalen Färbung noch ein besonderer Typus entstanden: der des unauffällig lebenden, des „makellos“, des „spotless“ seine sittliche und religiöse Pflicht erfüllenden Bürgers, überall hat sich sichtlich das Sinnlich-Freie zum Methodisch-Gebändigten gedämpft und das Leben zu kälterem Gebaren vernüchtert. Schon von der Straße her – so stark vermag eine starke Persönlichkeit sich bis ins Sachliche zu verewigen – erkannt man heute noch in jedem Lande auf den ersten Blick die Gegenwart oder einstige Gegenwart calvinistischer Zucht an einer gewissen Gemessenheit des Gehabens, eine Unbetontheit in Kleidung und Haltung und sogar an der Prunklosigkeit und Unfestlichkeit der steinernen Gebäude. In jeder Beziehung den Individualismus und den ungestümen Lebensanspruch des einzelnen brechned, überall die Autorität der Obrigkeiten stärkend, hat der Calvinismus in den von ihm beherrschten Nationen den Typus des korrekt Dienenden, des bescheiden und beharrlich der Gesamtheit sich Einordnenden, also des vortrefflichen Beamten und idealen Mittelstandsmenschen plastisch herausgearbeitet, und mit Recht hat Weber in seiner berühmten Studie über den Kapitalismus nachgewiesen, daß kein Element so sehr wie die calvinistische Lehre des absoluten Gehorsams den Industrialismus vorbereiten half, weil in der Schule schon auf religiöse Art die Massen zur Gleichschichtung und Mechanisierung erziehend.

Immer aber erhöht eine entschlossene Durchorganisierung seiner Untertanen die äußere, die militärische Stoßkraft eines Staates; jenes großartige, harte, zähe und entbehrungsreiche Seefahrer- und Kolonistengeschlecht, das erst Holland und dann England neue Kontinente eroberte und besiedelte, ist im hauptsächlichen puritanischer Herkunft gewesen, und dieser geistige Ursprung hat wiederum schöpferisch den amerikanischen Charakter bestimmt; unendlich viel ihrer weltpolitischen Erfolge danken alle diese Nationen dem streng erziehlichem Einfluß des picardischen Predigers von Saint Pierre.

Aber doch, welcher Angsttraum, Calvin und de Beze und John Knox, diese „kill joy“ hätten in  der krudesten Form ihrer ersten Forderungen die ganze Welt erobert! Welche Nüchternheit, welche Eintönigkeit, welche Farblosigkeit wäre über Europa gefallen! Wie hätten diese kunstfeindlichen, freudefeindlichen, lebensfeindlichen Zeloten gewütet gegen den herrlichen Überschwang und all jene holden Überflüssigkeiten des Daseins, in den sich der bildnerische Spieltrieb in göttlicher Mannigfaltkeit kundtut! Wie hätten sie alle die sozialen und nationalen Kontraste, die eben in ihrer sinnlichen Buntheit dem Abendland das Imperium in der Kulturgeschichte verliehen, ausgerodet zugunsten einer trockenen Monotie, wie den großen Rausch der Gestaltung verhindert mit ihrer fürchterlich exakten Ordnung! So wie sie in Genf den Kunstbetrieb für Jahrhunderte entmannten, so wie sie beim ersten Schritt zur englischen Herrschaft eine der herrlichsten Blüten des Weltgeistes, das shakespearische Theater, mit mitleidloser Ferse für immer zertraten, wie sie die Tafeln der alten Meister zerschlugen in den Kirchen und die Furcht Gottes einsetzten statt der menschlichen Freude, so wäre in ganz Europa jede inbrünstige Bemühung, auch anders als bloß mittels einer kanonisierten Frömmigkeit sich dem Göttlichen anzunähern, ihrem mosaisch-biblischen Anathema zum Opfer gefallen.

Stefan Zweig schreibt weiter, was alles nicht geschehen wäre, wenn die Calvins weltumspannend die Jahrhunderte mit ihrer mitleidlosen Ferse in die schwarzen Kammern ihrer Frömmigkeit getreten hätten. Aber. Das soll nicht in einem Kapitel gemeinsam stehen, in dem der barbarische Mord an Servet noch einmal im Zitat beschrieben ist.

Nieder mit den Gedenkjahren!

Herbei mit Aktivjahren!

Ist dieser Ruf nicht gerade in Österreich not, wo eben erlebt wird, wie alle beflissen Gedenktage begehen, um dann …

Auch mit Blick darauf, was in diesem Gedenkjahr 2018 in Österreich Parteienmenschen recht begehen wollen …

Mit einem Aktivjahr ist es gewiß nicht getan, es müssen, kurz gesagt Aktivjahre werden. Beginnend mit dem ersten Jänner 2018.

Aktivjahre aber, die nicht, in Österreich etwa, mit dem Ende der montagsgemachten Regierung aufhören dürfen Jahre der aktiven Toleranz zu sein. Zu viel liegt in diesem Land im argen, als daß es in fünf Jahren …

Diesen Parteimenschen in der zurzeitigen Regierung zuzurufen, sie wären Calvins ihrer Zeit, wäre der Anerkennung zu viel — sie sind bloß squirts of her time.

Gerade mit Blick auf die Kunst offenbaren sie ihre Farblosigkeit, nach Buntheit klingt bloß ein Name eines solchen Parteimenschen

2019 wird es 465 Jahre her sein, daß Sebastian Castillio diesen Satz schrieb:

„Einen Menschen töten heißt nicht, eine Lehre verteidigen, sondern einen Menschen töten.“

Die Aktivjahre der Toleranz hätten aber schon 2015 ausgerufen werden müssen, zum Anlaß der fünfhundertesten Wiederkehr des Geburtstages von Sebastian Castellio, des Menschen also, der vor 465 Jahren das „Manifest der Toleranz“ schrieb … Das wäre, nein das ist ein Jubiläum, würdig zu begehen:

500 Jahre Sebastian Castellio
„Manifest der Toleranz“

Und nicht unentwegt die Jubiläen für Männer und Frauen des Mordens, für Männer und Frauen abartigster Sichtweisen der Welt, also beispielsweise für den Luder, für die Habsburgerin in Dauerschwangerschaft als Verhütungsmittel und für weitere …

Jubiläum 465 Jahre – Erster Scheiterhaufen der Reformation

465 Jahre Erster Scheiterhaufen der Reformation

2017 wurden 500 Jahre Martin Luther, 300 Jahre Maria Theresia gefeiert. Auch 2018 stehen Jubiläen an.

Ein Gedenken, das es 2018 mit Bestimmtheit nicht breit und groß geben wird, ist das Gedenken an den ersten Scheiterhaufen, an den ersten Gesinnungsterrormord der Reformation, vor 465 Jahren in Genf. Der Name des Mörders: Jehan Calvin.

Was es für Gedenken 2018 geben wird, gerade in Österreich, davon kann im Kapitel

Im Gedenkjahr 2018 eine ÖVP-FPÖ-Regierung: Schaften, geht voran!

gelesen werden, von Menschen, die viel für das Verbrennen …

Vor rund 480 Jahren ging Calvin daran, in Genf „den ersten Gottesstaat auf Erden zu schaffen“. „Mit der Stunde, da dieser hagere und harte Mann im schwarz niederwallenden Priesterrock […] ein mit unzähligen Lebenszellen atmender Staat soll in einen starren Mechanismus, ein Volk mit allen seinen Gefühlen und Gedanken in ein einziges System verwandelt werden; es ist der erste Versuch einer völligen Gleichschaltung eines ganzen Volkes, der hier innerhalb Europas im Namen einer Idee unternommen wird.“

Vor rund 85 Jahren begann die Beschäftigung von Stefan Zweig mit diesem ersten Scheiterhaufenmörder und dem ersten Gottesstaat innerhalb Europas und mündete im Buch „Castellio gegen Calvin oder Ein Gewissen gegen die Gewalt“, abgeschlossen 1936.

Stefan Zweig schrieb dieses Buch also in der Zeit, als die nächste völlige Gleichschaltung diesmal in Deutschland bereits im Gange war, die zu einer der grausamsten, barbarischsten Gleichschaltung führte. In Österreich nicht minder. In Österreich, wo so viele die massenmörderischste Gleichschaltung herbeisehnten, „sakral inbrünstig“ sie erwarteten, ihren Beitrag leisteten, vorerst in Wort und Schrift.

Es kann das Buch von Stefan Zweig hier nicht in seiner Gesamtheit zitiert werden. Dabei ist es ein Buch, das in seiner Gesamtheit zitiert werden muß. Aus diesem Buch ist nicht nur die Grausamkeit zu erfahren, mit welcher Perversion dieser erste Gesinnungsmord der Reformation begangen wurde. Es sind vor allem die Mechanismus beschrieben, wie es zu einer Diktatur kommt, wie eine Diktatur sich halten kann. Wie sich solche barbarischen Menschen selbst als „Verfolgte“ darstellen, sie die „Opfer“ seien … wer wird dabei nicht an die Gegenwart denken, besonders in Österreich an jene Menschen einer Partei, die sich stets als …

Es gibt so vieles, das in diesem Buch angeführt und auf so eindrückliche Art ausgeführt ist, was hier zu erwähnen wäre. Allein, es ist zu viel. Es ist in seiner Gesamtheit zu lesen.

Es ist in seiner Gesamtheit zu lesen. Was vor rund 480 Jahren begann mit dem ersten Gottesstaat innerhalb Europas, begann, wie es seitdem stets begann. Das sind die Jubiläen, die zu begehen sind. Und dem Buch von Stefan Zweig ist ein Jubiläum zu widmen, ein Gedenkjahr. Denn. Es gibt auch die Instrumente in die Hand, wie es zu einer Zeit kommen kann, in der nicht mehr Jubiläen mit den dunkelsten Figuren der Geschichte begangen werden.

Es ist in seiner Gesamtheit zu lesen. Eines aber soll doch noch angesprochen werden. Zweig schreibt auch von der stets vorgebrachten Entschuldigung für solche Gesinnungsmörder und Gesinnungsmörderinnen, sie seien eben „Kinder ihrer Zeit“ gewesen, Calvin sei ein „Kind seiner Zeit gewesen“. Stefan Zweig hält dagegen, es hätte auch andere zu dieser Zeit gegeben, vor allem aber nicht nur Castellio.

Und immer wieder die Gegenwart. „Kind seiner Zeit.“ Damit entschuldigt etwa ein Mann aus der ÖVP den Antisemitismus eines Leopold Kunschak.

Und ist nicht gerade Stefan Zweig selbst der größte Zeuge dafür, was für ein Pimpf, für ein Wicht Leopold Kunschak war, der zur gleichen Zeit wie Zweig lebte, und so gar kein Zeitgenosse von Zweig war, höchstens einer von Calvin, Luther, Maria Theresia …

Sie waren nicht „Kinder ihrer Zeit“. Sie waren und sind, kurz gesagt: „Squirts of her time“. Sie können es mit „Wichte ihrer Zeit“ übersetzten, auch mit „Pimpfe ihrer Zeit“. 

Es ist nicht das erste Mal, um zu einem Schluß zu kommen, daß von Castellio gesprochen wurde … schlagen Sie das Kapitel

Doppelpaß Südtirol und Faschismus vor den Augen des Bundespräsidenten

auf …

Und auch von den finsteren Figuren der Geschichte wurde schon erzählt, etwa von

Maria Theresia 2017

Schließlich leben neben Martin Luther und den M. T. Habsburgs Menschen

Der halbe Luther von Michael Bünker oder „Zigeuner“ werden Opfer sein dürfen, wenn sie keine Opfer mehr sind

„Nazikirche“, Hofer und die Angst des Bischofs vor dem Tor der Geschichte

Endlich Schluß mit Anhimmelung von Mao Hitlerstalin, heißen sie Johannes Calvin oder wie auch immer sonst noch

Endlich Schluß mit Anhimmelung von Mao Hitlerstalin, heißen sie Johannes Calvin oder wie auch immer sonst noch

Es muß so zugespitzt und deutlich geschrieben werden, es müssen mit dem Vorschlaghammer die Buchstaben auf das Papier gedroschen werden, damit es auch klar und unmißverständlich verstanden wird.

Johannes Calvin - Schluß endlich mit Anhimmelung von Mao HitlerstalinWürden die Macher und Macherinnen, um ein konkretes und aktuelles und Österreich bezogenes Beispiel exemplarisch zu nennen, der Sendung „Gedanken für den Tag“ im österreichischen Rundfunk Adolf Hitler derart anhimmeln, sie würden nicht nur massiv kritisiert werden, sondern in Österreich, in dem es ein Verbotsgesetz gibt, zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt werden.

Aber es wird nicht Adolf Hitler liebevoll und propagandistisch gedacht und angehimmelt, sondern diesmal – aktueller Anlaß halt wieder ein Jubiläum – ist es Johannes Calvin, der vor Jahrhunderten an einem Tag im Mai geboren wurde oder starb.

Es interessiert hier nicht, was Johannes Calvin dachte oder gesagt hat, es ist metaphysisches Geschwefel, und was nach über 400 Jahren über ihn und zu ihm gesagt wird, ist ebenso nachgeredetes Geschwefel. Das Unanständige und Ungeheuerliche aber daran ist, Johannes Calvin derart propagandistisch im Jahre 2014 noch …

Selbstverständlich kann über jeden Menschen etwas Gutes gesagt werden, und es ist eine Sendung „Gedanken für den Tag“ vorstellbar, in der auch etwas Gutes über Adolf Hitler gesagt werden könnte, Zitate von ihm gebracht werden könnten, die ihn als einen guten Menschen propagandistisch … Aber es gibt eine breiteste Übereinstimmung heute in der österreichischen Gesellschaft, Adolf Hitler nicht zu gedenken, Adolf Hitler nicht mehr anzuhimmeln. Und es gibt darüber hinaus auch entsprechende Gesetze, die das mit Recht unterbinden. Bloß bei Johannes Calvin oder wie auch immer sie heißen, gibt es diese Übereinstimmung nach wie vor nicht. Diese ist längst überfällig.

Und hierzu gehört dringend auch, endlich nicht mehr in der Sprache der Organisierten Glauben zu reden. Und weil es hier auch konkret um Johannes Calvin geht, kann ebenfalls exemplarisch ein Beispiel konkret angeführt werden. Es muß aufgehört werden, von „Hexenverbrennungen“ zu sprechen. „Hexe“ klingt nach Schuldigkeit.  „Hexe“ klingt nach Täterin, als wäre es begründet und rechtens gewesen, sie zu verfolgen. „Hexenverbrennung“ klingt verharmlosend, weil es nicht konkret benennt, wer verbrannt wurde; es ist also ein euphemistischer Ausdruck, hinter dem Täter und Täterinnen stets ihre Verbrechen versuchen zu verbergen, auch vor ihnen selbst.

Es waren aber Menschen und keine gespenstisches Wesen, keine Geister. Menschen sind verbrannt worden. Menschen wurden ermordet.

Menschen wurden ermordet, es muß nicht hinzugefügt werden, bestialisch. Das Morden an sich ist bestialisch genug.

Und einem Menschenausrottungsfanatiker, wie es eben auch Johannes Calvin war, wird 2014 immer noch liebevoll propagandistisch …

Und komme niemand und sage, es sei eine andere Zeit als heute gewesen. Nicht vergleichbar mit der heutigen Zeit. Dagegen gibt es keinen Einwand. Aber es gibt keinen Grund, heute noch, Menschen anzuhimmeln, wie in dieser Woche eben halt massiv Johannes Calvin, und nächste Woche ist es ein anderer oder eine andere, um irgendeine herauszugreifen, vielleicht Hildegard von Bingen, diese antisemitische … Was mit Adolf Hitler gelungen ist, die Anhimmelung aufzugeben, muß auch mit Johannes Calvin gelingen, oder wie immer diese Menschen der Organisierten Glauben heißen mögen.