In der Nummer 51-52 vom 19. Dezember 2014 bis 8. Jänner 2015 der „Zur Zeit“ erzählt Helge Morgengrauen wieder ein Märchen, das ihm beim Wiederlesen von Bluncks Märchen eingefallen sein muß, nein, nicht eingefallen, gesinnungsgemäß diktiert von der Vorsehung. Oh, wie stellt er einen „Notablen des ‚Reiches'“ vor, als einen Ehrenhaften, der ein Amt in der nationalistischen Massenmorddiktatur des deutschen reiches wieder verlor, weil er …
Wer hier schon einmal die eine oder andere Korrektur der morgengrauen’schen Wiederlesungen – und das sind nicht wenige – gelesen hat, wird auch in diesem Fall augenblicklich die gesinnungsgemäße Waschtechnik erkennen, mit der Helge Morgengrauen Hans Friedrich Blunck die Weste weiß … Was könnte hier alles auf die von Morgengrauen weiß gerubbelte Weste geschrieben werden, daß er beispielsweise Altpräsident ehrenhalber blieb, daß er doch NSDAP-Mitglied war, jedoch erst ab 1937, daß er einer ist auf der „Gottbegnadetenliste“ von Adolf Hitler … Aber wozu? Es ist alles gesagt zu Blunck, und das von einem Berufenen und Zeitzeugen zugleich …
Thomas Mann hätte Helge Morgengrauen keinen Brief geschrieben, aber er hat 1946 Hans Friedrich Blunck einen Brief geschrieben, den die „Zeit“ im Jahr 1963 veröffentlichte, und dieser Brief sagt alles zum morgengrauen’schen Märchen über Blunck:
An Hans Friedrich Blunck
Pacific Palisades
22. Juli 1946
Sehr verehrter Herr Blunck,
das Gefühl, mit dem ich Ihre Sendung, Brief und Memorandum, empfing, kann ich nicht anders als „Bestürzung“ nennen. Wie komme ich dazu, diese Berichte, Erklärungen, Rechtfertigungen aus Deutschland (Ihr Schreiben ist nicht das einzige seiner Art) entgegenzunehmen? Ich habe doch nicht Macht, zu binden, zu lösen! Und wenn man mich als den Repräsentanten der „Welt“ nimmt –, diese Welt benimmt sich ja heute so mangelhaft, daß wenig Anlaß besteht, sich bei ihr zu entschuldigen. Es suche jeder allein mit seinem Gewissen fertig zu werden.
Meine Äußerung über Sie war vollkommen gelegentlich, unbeabsichtigt, rein provoziert. Ich mußte Ihrem Herrn Bruder einfach antworten, und ich konnte nur antworten, daß es mir, der ich dem III. Reich so ostentativ den Rücken gewendet, sonderbar zu Gesicht stehen würde, wenn ich mich jetzt bei den Besatzungsbehörden für einen literarischen Exponenten und Notablen dieses „Reiches“ verwenden wollte.
Sie wollen das nicht gewesen sein, und ich will Ihr Leugnen nicht einfach der allgemeinen Erscheinung zurechnen, daß heute niemand „es gewesen“ sein will. Ich glaube gern an Ihre guten Absichten. Aber wenn man in Ihrem Exposé Sätze liest, wie: „Als Hitler 1933 vom Reichspräsidenten von Hindenburg zum Reichskanzler berufen war und er den Eid auf die Weimarer Verfassung geleistet hatte, habe ich den feierlichen Erklärungen vertraut, daß alle Staatsbürger unter gleichen Rechten stehen würden. Ich nahm an, daß es sich um eine kurze Zeit des Übergangs zu einer neuen Verfassung handle… Nach dem Tode R. Bindings bin ich auf seinen Sitz in der Deutschen Akademie in München berufen worden. Meine Tätigkeit beschränkte sich darauf… den Unterricht in deutscher Sprache im Auslande, den die Akademie übernommen hatte, mit Rat und Vorschlägen zu unterstützen –“, so kann ich nur den Blick gen Himmel wenden und sprechen: „Ja, du allmächtiger Gott!“ ist denn soviel Blindheit möglich, ein solcher Mangel an Blick und Gefühl für die Scheußlichkeit, die im Gange war, einem geistigen Menschen erlaubt? Bestand Hitlers Zauber darin, daß die Leute glaubten, er werde der Schützer der Weimarer Verfassung sein? Bevor er eine neue Verfassung gäbe? Und der „Unterricht in deutscher Sprache im Ausland“! Jedes Kind in der weiten Welt wußte, was mit dem Euphemismus gemeint war, nämlich die Unterminierung der demokratischen Widerstandskräfte überall, ihre Demoralisierung durch Nazi-Propaganda. Nur der deutsche Schriftsteller wußte es nicht. Er hatte es gut, er durfte ein reiner Tor sein und ein stumpfes Gemüt, ohne moralische Reizbarkeit, ohne jede Fähigkeit zum Abscheu, zum Zorn, zum Grauen vor dem durch und durch infamen Teufelsdreck, der der Nationalsozialismus für jedes anständige Herz vom ersten Tage an war.
Und in die Münchner Nazi-Akademie haben Sie sich berufen lassen. Stellen Sie sich vor: ich bin der Meinung, daß nie ein Kollege sich hätte finden dürfen, der bereit gewesen wäre, den Platz einzunehmen, von dem ich, gleich nachdem Hitler „die Weimarer Verfassung beschworen“, in schnödester Form weggewiesen worden war. Finden Sie das sehr dünkelhaft? Aber ich stehe nicht allein mit dieser Auffassung. Die ganze geistige Welt teilt sie. Nur in Deutschland fehlt es an jedem Gefühl für solche Solidarität, solchen Stolz, solchen Mut zum Protest und zum Bekenntnis. Man ist dort allzu bereit, sich zum offenkundigen Bösen zu bekennen –, solange es aussieht, als wollte diesem die „Geschichte“ recht geben. Aber ein Schriftsteller, ein Dichter sollte wissen, daß zwar das Leben sich allerlei gefallen läßt, daß aber das ganz und gar Unsittliche nicht vor ihm besteht.
Dieser Brief artet in eine Philippika aus – gegen alle Vorsätze. Ich tauge gar nicht zum starren Sittenrichter, bin der Letzte, einen Stein aufzuheben und fühle mich nicht im Geringsten als Instanz, bei der Lossprechungsanträge vorzubringen wären. Aber den Kummer und die Scham über das entsetzliche, herz- und hirnlose Versagen der deutschen Intelligenz bei der Probe, auf die sie 1933 gestellt wurde, wird niemand mir ausreden. Sie wird viel Großes leisten müssen, um das in Vergessenheit zu bringen. Möge Gott ihr die Kraft und innere Freiheit dazu geben! Das ist ein allgemeiner und zugleich ein ganz persönlicher Wunsch für Ihr Werk und Lebensglück.
Ihr ergebener Thomas Mann
Das schrieb Thomas Mann 1946, das veröffentlichte die „Zeit“ am 20. September 1963. Und im Dezember 2014 kommt Helge Morgengrauen wieder einmal daher und betätigt wieder die Waschrumpel … Wie kommen Menschen der Gegenwart dazu, sich diese Zurechtlegungen aus dem Piemont … Weil, und das ist der einzige wie widerwärtige Grund, es im Quell-, Schreib- und Werbeorgan der identitären Gemein-Schaft geschrieben wird, die viele, viel zu viele Stimmen in Wahlen erhält.
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